Was ist Zivilcourage und warum brauchen wir mehr mutige Bürger? Darüber hat sich mein Gast-Autor, Oliver Dreber*, seine nachfolgenden Gedanken gemacht:

Über die traurigen Schicksale von Tugceder Studentin aus Offenbach, oder von Dominik Brunner, dem Geschäftsmann aus München muss wohl nicht mehr viel geschrieben werden. Wohl aber über die Courage in einer Zivilgesellschaft wie der unseren. Gerade in einer Zeit, in der sowohl die gesellschaftliche, als auch die individuelle Sicherheit tagtäglich gefährdet erscheint. Und insbesondere die Medien das ihrige leisten, um die Welt als solche eben als gefährlich und unsicher erscheinen zu lassen. In einem solchen Kontext ist es von großer Wichtigkeit, sich darüber klar zu werden, wo Zivilcourage beginnt und warum diese Art der Courage  gerade jetzt so wichtig ist. Auch darüber, was der couragierte Bürger tun kann, will er sich für das Recht derer einsetzen, die sich nicht wehren können, ohne sich selbst zu gefährden.

Was Zivilcourage bedeutet

Lt. Duden bedeutet Zivilcourage „Mut, den jemand beweist, indem er seine Meinung offen äußert und sie ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen in der Öffentlichkeit, gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzten o. Ä. vertritt.

Zivilcourage ist in diesem Sinne also immer eine Meinungsäußerung, eine individuelle Wahrheit, die gesagt werden darf und soll, auch gegen die Interessen eines vermeintlich Stärkeren. Sei dieser „Stärkere“ der Staat, die Kirche, die Schule, die Eltern oder eine andere Obrigkeit.

Der Antrieb für diese individuelle Meinungsäußerung ist wohl zumeist ein ebenso individuelles Gefühl von Ungerechtigkeit in der wahrgenommen Situation. Wenn in dieser Wahrnehmung der Ungerechtigkeit das Mitgefühl gegenüber einem Dritten überwiegt und sich eben nicht auf das eigene Wohl und Wehe reduziert, dann sprechen wir von der heutigen Zivilcourage. Zivilcourage im Sinne der beiden obigen Fälle, also im Sinne des Mitgefühls, wird immer da notwendig, wo Schwächere verhöhnt, verspottet, drangsaliert oder gar angegriffen werden und sich selbst nicht ausreichend oder nicht mehr verteidigen können.

Mutige Bürger

Die Konflikte, die Zivilcourage erfordern, finden zumeist im öffentlichen, vermeintlich anonymisierten Raum statt. Hier braucht jede Zivilgesellschaft mutige Bürger, um Übergriffe dieser Art aus der Anonymität ans Licht zu bringen und um die zu schützen, die des Schutzes bedürftig sind.  Besonders Kinder, Jugendliche, Frauen und Senioren. Es sind speziell die Personengruppen, die zumeist aufgrund ihrer Alters- und oder Gesundheitsstruktur weniger wehrhaft sind als andere. Denn eines ist nahezu allen Konflikt- bzw. Gewaltsituationen gemeinsam, „Täter suchen Opfer, keine Gegner!“.

Warum das Herausholen aus der Anonymität, das Hinschauen gerade jetzt noch wichtiger wird? Allerorten sehen und hören wir von Konflikten, von Gewalt und Kriegen, von Natur- und Umweltkatastrophen. Nichts scheint mehr sicher zu sein.  War unsere Gesellschaft in Deutschland über Jahrzehnte hinweg ein sicherer Hafen der Demokratie und Prosperität, scheint nun genau diese Sicherheit von vielen äußeren Faktoren bedroht zu sein. Die in den letzten Jahren stetig zunehmende Latenz an Unsicherheit in der Gesellschaft verändert auch das Verhalten jedes Einzelnen. Empathie, Rücksicht, Mitgefühl, Fairness, Nachbarschaftshilfe verkommen zusehends zu leeren Worthülsen.

Und genau deswegen, geht es gerade jetzt darum, ein Stück weit Inne zu halten, die individuelle Unsicherheit auf Abstand zu halten, die Augen zu öffnen und einfach mal selbstlos dort zu helfen, wo Hilfe benötigt wird. Denn schließlich geht es in der Zivilcourage auch noch um einen weiteren, wesentlichen Aspekt: Nämlich um die Werte einer Gesellschaft! Wo kämen wir hin, wenn sich keiner mehr um das Leid eines anderen kümmert? Wie können wir auf andere Länder, auf andere Gesellschaften, auf andere Religionen zeigen, wenn wir selbst nicht mehr bereit sind, die wichtigsten Werte unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zu verteidigen? Auch und gerade für den Schwächeren.

Als besonders perfiden Fall einer a-sozialen, i. S. einer unempathischen, ohne jegliches Mitgefühl für den offenkundig Schwachen agierenden Gesellschaft, spielt sich ein “Vorgang“ im Okt. 2016 in Essen ab. Bei dem ein 82-jähriger Rentner im Vorraum einer Bankfiliale zusammenbricht und 3 Personen (Männer & Frauen) jegliche Hilfeleistung unterlassen. Man steigt lieber über den am Boden liegenden Menschen und geht seinen Bankgeschäften nach. Erst der 4. Bankkunde verständigt den Notarzt. Der Rentner gelangt jedoch nicht mehr zu Bewusstsein und verstirbt wenige Tage später.

Zivilcourage klar, aber wie?

Was also kann der mutige Bürger tun? Zuallererst kann er hinsehen und nicht wegschauen! Eine bewußte Haltung führt zu einem bewußten Blick und dieser erkennt die Ungerechtigkeit bzw. die Hilfebedürftigkeit. Im Falle des Rentners ist diese nun wahrlich nicht zu übersehen. Zivilcourage beginnt also, bzw. bedingt gleichsam eine Kultur des Hinschauens in unserer egozentrierten Gesellschaft. Wer in unserer ach so offenen Kultur sich selbst wirklich offen verhält, ist eben auch offen für das Offensichtliche.

Auf der anderen Seite geht es in der Zivilcourage nicht darum, sein eigenes Leben durch seine Hilfe zu gefährden. Sondern es geht darum, dem Schwächeren zur Seite zu stehen. Dies erfordert Mut, den Mut, der in der Courage steckt! Doch zugleich ist wichtig, nicht naiv und unvorsichtig zu handeln. Das „zur Seite stehen“ ist wörtlich zu nehmen. Denn dort wo 2 gemeinsam gegen 1 Aggressor stehen, bleibt die Gewalt alleine!

Der mutige Bürger sucht, bzw. stellt also die Überzahl her und findet, in dem er laut und klar auf die Situation aufmerksam macht, weitere Unterstützer. Der Ton macht die Musik und insofern führt das Wort zur Deeskalation. Dort wo nicht beschwichtigt werden kann, sollte auch keine Diskussion mit dem Täter geführt werden. In diesem Fall ist so schnell wie möglich räumliche Distanz aufzubauen, um Aggressionen abzubauen. Wer ein Handy dabei hat, sollte schnellstmöglich die Polizei verständigen. Wie so oft liegt im Erkennen einer Situation der Schlüssel zum Vermeiden von Gewalt. Das schnelle Erfassen und Einleiten der richtigen Schritte zum Anwenden sicherer Zivilcourage läßt sich leicht in Kursen von Polizei und gewerblichen Anbietern lernen. Gute Kurse sind an hohem Realitätsbezug und praxisnahen Rollenspielen zu erkennen.

Aus meiner Sicht sind Mitgefühl, Hinschauen statt Wegschauen und Mut die wohl wesentlichen Eckpfeiler einer notwendigen Zivilcourage. Deswegen: Mehr Mutige Bürger braucht das Land!

 

*Oliver Dreber, geb. 1969 in Leverkusen, ist Inhaber und Geschäftsführer der Hara Do (japanisch: „Der Weg zur Mitte“) UG, dem einzigen Institut für Kampf & Kommunikation in Deutschland. Mehr Informationen unter   www.hara-do.de