Freiheit oder Sicherheit: Mit dieser Frage müssen wir uns zeitlebens beschäftigen und uns entscheiden, was uns im Zweifel wichtiger ist.
Vor dreissig Jahren war noch alles anders
Jeder von uns hat ja unterschiedliche Erinnerungen an den stürmischen Herbst des Jahres 1989 . Als der Wunsch nach Freiheit übermächtig wurde und dafür Hunderttausende von Menschen in einer „Deutschen (aber ganz und gar nicht Demokratischen) Republik“ ihr sicheres Zuhause verliessen und auf die Strassen gingen.
Heute blickt jeder von uns in einer unterschiedlichen Situation und mit eigenen Erfahrungen auf die letzten 30 Jahre zurück und zieht eine persönliche Bilanz. Ich erlebte den Herbst 1989 staunend vor dem Fernseher. In einer Stadt (München), in der es damals schon den meisten Menschen gut ging und in der damals schon viele mit dem östlichen Teil Deutschlands wenig anzufangen wussten. Ja, man erinnerte sich noch an eine peinliche Niederlage der DFB-Elf an die DDR-Auswahl beim WM-Turnier 1974 in Hamburg. Wir verfolgten gerne die Auftritte von Kati Witt, mehrfache Weltmeisterin und Olympiasiegerin 1984 und 1988. Wussten aber ehrlich gesagt auch nicht so genau, wo ihre zwischenzeitliche Heimatstadt, Karl-Marx-Stadt, wirklich lag. Eigentlich interessierte uns dies auch nicht so wirklich.
Aber was uns immer mehr interessierte, war das immer lauter werdende Grollen hinter einer Mauer, die seit fast 30 Jahren Menschen angeblich beschützen sollte. In Wahrheit aber innerhalb von wenigen Tagen Familien auseinanderriess und ganze Landstriche vom Leben trennte. Und ein Bauwerk, wegen dem Hunderte von Menschen zu Tode kamen. Nur, weil sie mit ihren Liebsten einfach wieder zusammenleben, oder einfach ihr Glück woanders suchen wollten.
Die friedliche Revolution: Hoffnung und Glück für viele Menschen
Es kamen die Tage im Herbst 1989. Im Westen Deutschlands verfolgten Millionen von Menschen mit ungläubigem Staunen, wie auf der anderen Seite der Mauer Millionen von Menschen friedlich gegen Bevormundung, Überwachung, Kontrolle und Repressalien kämpften. Jeden Tag wurden es mehr, fast Stündlich wuchs die Anspannung. Und vor allem die Sorge, wie lange sich das damalige Regime und die Machthaber (die damalige UdSSR) im Hintergrund diesen Aufstand ihrer „Untertanen“ gefallen lassen würden. Oder ob es wieder so käme, wie schon 1953, als am 17. Juni schon einmal Hunderttausende von Menschen mutig und kraftvoll demonstrierten. Für Senkung der Normen, Freilassung der politischen Häftlinge, Rücktritt der Regierung, freie Wahlen und die Einheit Deutschlands. Aber die Panzer der Besatzungsmacht den Aufstand zum Erliegen brachten.
Um diesem Schicksal zu entgehen machten sich im Sommer 89 sicherheitshalber die Menschen auf den Weg. Flüchteten aus ihrer Heimat, getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben und auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Kinder. Und es klingt wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte, wie eine verpätete Wiedergutmachung für die Geschehnisse von 1953, wie die erneute „Revolution“ endete: Nämlich friedlich, ohne einen einzigen Schuss und mit einem grotesken, von niemandem vorhergesehenen „Finale“. Mit einem einfachen Satz, vermutlich missverständlich vorgelesen und/oder interpretiert, wurde das „Gefängnis“ am 9. November 1989 für gut 16 Millionen Menschen geöffnet. Und der Weg zu einem wieder vereinten Deutschland war frei. Es dauerte nicht einmal ein Jahr, bis am 3. Oktober 1990 diese Wiedervereinigung auch offiziell beschlossen und besiegelt wurde.
Seit 15 Jahren lebe ich jetzt „auf der anderen Seite“ der ehemaligen Grenze und blicke auf meine Erlebnisse seit dem Mauerfall zurück. Denke daran, dass ich mein persönliches Glück ohne dieses „Wunder“ nie gefunden hätte und wie vielen großartigen Menschen ich in den letzten Jahren begegnet bin. Ich denke aber auch daran, eigentlich grüble ich immer mehr darüber, wie viele unzufriedene, enttäuschte und frustrierte Menschen es in meiner neuen Heimat gibt. Von denen bestimmt viele von einem Leben in Freiheit und Sicherheit träumten. Und natürlich von einem Leben in Wohlstand, schliesslich wurden sogar „blühende Landschaften“ versprochen.
Freiheit bedeutet nicht gleichzeitig das Paradies
Zu meinem Entsetzen sehe ich jetzt wieder ähnliche Bilder wie damals. Aber doch wieder ganz andere. Wieder Menschen, die auf Strassen und Plätzen „Wir sind das Volk“ rufen und Politiker/innen als Verräter beschimpfen. Deren Bilder sogar am Galgen und ihre Abneigung gegen alles „Fremde“ offen zur Schau tragen. Ich frage mich: Was ist nur mit diesen Menschen passiert, woher kommt ihre Wut, bei manchen sogar ihr Hass? Ist es ihre persönliche Lebenssituation, ihre Enttäuschung darüber, was aus ihren ursprünglichen Erwartungen geworden ist? Dass nach dem Mauerfall komplette Lebensentwürfe „umgeschrieben“ wurden und viele Menschen komplett von vorne anfangen mussten. Beziehungen auseinandergingen, der Zusammenhalt auseinanderbrach und sich jeder plötzlich selbst der nächste war. Oder ist es einfach die immer noch herrschende Abneigung gegen jegliche „Zentralregierungen“, egal, wie immer die auch heissen mögen?
Der Wunsch nach einer neuen – aber jetzt flexiblen – Mauer
Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele dieser Menschen am liebsten wieder eine Mauer um sich, ihren Besitz und um das ganze Land haben möchten. Die man aber dieses Mal je nach Belieben auf „Geschlossen“ oder „Offen“ einstellen kann. Zum Beispiel auf „Geschlossen“, damit die die Not und das Elend der ganzen Welt nicht zu ihnen kommen und an ihre Türe klopfen kann. Aber die Schätze dieser Welt sehr wohl, auf denen auch unsere Lebensart und unser Wohlstand basieren. Egal, ob billiges Öl für billiges Benzin, billige Arbeitskräfte für billige Produkte, exotische Früchte und Speisen zu jeder Tageszeit sowieso. Und selbstverständlich „Offen“, wenn man selber in diese Regionen reisen und seine eigenen Produkte mit Profit vermarkten möchte. Egal, ob es sich dabei um Rüstungsgüter, Abfälle aus einer hoch subventionierten Fleischproduktion, oder um illegalen Elektroschrott und sonstigen Giftmüll handelt.
Der Wunsch nach dieser „flexiblen“ Mauer scheint auf den ersten Blick zwar schizophren, ist aber auch zu verstehen. Menschen sind einfach so angelegt, dass sie den Wunsch nach Freiheit UND gleichzeitiger Sicherheit haben. Nach körperlicher UND finanzieller Sicherheit. Sich nicht jeden Tag Sorgen um die eigene Existenz und ein auskömmliches Einkommen machen zu müssen. Darüber, ob der Arbeitsplatz sicher ist, die Mieten bezahlbar bleiben und die Rente zum Leben reicht. In einem „eingeschlossenen“ Deutschland mussten sich die Menschen darüber offensichtlich weniger Sorgen machen. Dort, wo die Menschen in ihrem „früheren“ Leben zwar weniger hatten, dieses wenige aber zum Leben reichte. Es auch bei den Nachbarn und Kollegen die Regel war, wenig zu haben. Und es deswegen auch wenig Raum für Neid und Missgunst gab.
Viele Menschen scheinen aber schon vergessen zu haben, welchen „Preis“ sie für diese vermeintliche „Sorgenlosigkeit“ und Sicherheit zu zahlen hatten. Eben Einschränkung der persönlichen Freiheiten, permanente Kontrolle und Überwachung. Von den unsäglichen Lebensbedingungen innerhalb verkommener Infrastrukturen (Strassen, Häuser, …), dem Leben mit verpesteter Luft und den eingeschränkten Reise- und Berufsmöglichkeiten ganz zu schweigen.
Freiheit bedeutet auch Verantwortung
Für viele Menschen scheint es zusätzlich schwer zu verstehen zu sein, dass Freiheit auch gleichzeitig bedeutet, Verantwortung für das eigene Leben nicht mehr jemand anderem überlassen zu können. Nicht mehr einem „anonymen“ Staat, der sich zum Beispiel um Arbeit oder Wohung kümmert. Sondern, dass man die Verantwortung selber zu tragen hat, mit allen Konsequenzen. Und wenn diese Verantwortung eben auch bedeutet, dass man nicht mehr erwarten kann, dass die Arbeit dorthin kommt, wo man gerade lebt. Sondern, dass man im Zweifel sein eigenes Schicksal selbst in die Hand nehmen und auf „Wanderschaft“ gehen muss.
Was ist Ihnen jetzt wichtiger: Freiheit oder Sicherheit?
Jeder von uns bewertet diese Frage bestimmt anders. Weil es dazu unterschiedliche Einstellungen, Erfahrungen und Ansprüche gibt. Aber eines ist klar: Hunderprozentige Freiheit gepaart mit Hunderprozentiger Sicherheit kann und wird es nicht geben. Unsere Persönlichkeit entwickeln und unser Leben so zu leben, wie wir es gerne leben möchten, ohne unser eigenes Zutun und ohne das Eingehen von Kompromissen ebenfalls nicht. Genauso, wie die persönliche Freiheit dort ihre Grenzen hat, wo sie die Freiheit des anderen beeinträchtigt, oder sie sich ausserhalb der geltenden Gesetze befindet.
Zu dieser Freiheit nach seinen eigenen Vorstellungen glücklich zu werden, gehört aber normalerweise auch eine gewisse Sicherheit. Sei es die finanzielle Absicherung, oder der Schutz unserer körperlichen Unversehrtheit. Auf der anderen Seite wird es eine Hundertprozentige Garantie für diese Sicherheiten ebenfalls nicht geben können. Auch, weil den Grad dieser Sicherheit jeder für sich selber anders definiert und sie oft nur ein diffuses „Gefühl“ ist. Und wer etwas neues wagen möchte, gibt damit natürlich auch einen Teil seiner bisherigen Sicherheit auf und begibt sich in ein oft unkalkulierbares Risiko. Ähnlich, wie diese „Reise“ in das Ungewisse (eigentlich unser ganzes Leben) John A. Shedd (amerikanischer Schriftsteller) beschrieben hat: Ein Schiff im Hafen ist sicher, doch dafür werden Schiffe nicht gebaut.
Vielleicht helfen Ihnen ja zur abschliessenden Bewertung Ihrer eigenen Vorstellungen von Sicherheit und Freiheit weitere Anregungen, welche Aristoteles beziehungsweise Benjamin Franklin zugeschrieben werden:
- „Wer Sicherheit der Freiheit vorzieht, ist zu Recht ein Sklave.“
- „Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren“.
Heisst dies jetzt, dass wir erst dann wieder bereit sind, für Freiheit zu kämpfen, wenn für uns die Nachteile einer entsprechenden Sicherheit zu groß werden? Wie ist Ihre Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Was ist Ihnen wichtiger und welche Kompromisse wären Sie bereit, einzugehen?
Interessante Frage – lässt sich nicht in wenigen Worten beantworten.
Als Naturwissenschaftler betrachte ich die Extrempunkte, – totale Sicherheit, aber keine Freiheit (z.B. Mensch im Gefängnis) – totale Freiheit, aber keine Sicherheit (z.B. Robinson Crusoe).
Wo liegt nun das Optimum?
Berücksichtigt man nun die Eigenschaften des Menschen, in welcher Gesellschaft lebt er, in welcher Hierarchie befindet er sich dort, usw. wird man wohl feststellen müssen, es gibt kein generelles Optimum.
Aus meiner Lebenserfahrung weiß ich, dass ein Mensch immer mehr zur Sicherheit neigt, je mehr er glaubt, verlieren zu können. Freiheit verschwindet dann langsam am Horizont.
Dazu fällt mir gerade der Song ein, von Janis Joplin : Me and Bobby Mcgee,
Was ist Freiheit?
„Freiheit“ ist nur ein anderer Begriff für „Nichts zu verlieren haben“
Sehr bitter!
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Freiheit ist, andere vor dem Abgrund bewahren
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Selbst gehe ich einfach nach dieser Faustregel, primär auf Sicherheit achten, und erst dann kommt der Spaß in einer Aktivität, so daß Freiheit diesbezüglich dann relativ sekundär angesehen werden dürfte. Dies gilt vor allem im Rahmen meiner Kinderbetreuung. Umgekehrt kann es sonst nicht sein, gar teuer werden, z.B. im Fall eines Unfalls… auch für sich selbst, wie beispielsweise beim Klettern nach der Seiltechnik etc.
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Sicherheit ist eine Illusion, aber das Streben nach Glück ist wichtig. Glück ohne Menschlichkeit gibt es nicht. Also vergesst Zäune, Mauern und Grenzen, seid mitmenschlich, aufgeschlossen und arbeitet an einer großen, bunten Weltgesellschaft in der alles geteilt wird, weil alles allen gehört. Eine Welt, eine Menschheit, das wäre doch schön
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Etwas tiefere und differenzierte Ansichten, die sich nicht auf schwarz/weiß, wir/die limitieren.
Das Sicherheit vs. Freiheit ist gewiss nicht auf Deutschland oder Europa limitiert. Eine der Ursachen ist wohl die technologische Entwicklungsgeschwindigkeit, die zu schnell ist, damit die soziale, ethische und psychische Entwicklung des Individuums mithalten kann.
Man kann darüber endlos philosophieren, was auch gewissermaßen über den empfundenen Kontrollverlust über das eigene Leben hinwegtrösten kann.
Was mich allerdings am Text fasziniert ist die inflationäre Anwesenheit der Gänsefüschen. Siehe auch
https://de.wikipedia.org/wiki/Anf%C3%BChrungszeichen
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Die Frage ist falsch gestellt. Freiheit und Sicherheit sind gleichermaßen wichtig, müssen aber immer wieder gegeneinander ausbalanciert werden, um – in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation – maximal zur Geltung zu kommen. Deshalb sind in ihren Leitlinien eindeutige, aber im Detail flexible Rechtsgrundlagen so wichtig, auch im Hinblick auf die Grenzkontrolle. Dabei muss Ausreisfreiheit immer gewährt werden, Einreisefreiheit hingegen gerade nicht.
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Vielen Dank für Ihren Kommentar, über den ich mich sehr gefreut habe! Bezüglich Ihrer Bemerkung zu „Grenzkontrollen“: Seit gut zwanzig Jahren sind diese Gott sei Dank in Europa abgeschafft, mit vielen Vorteilen für unser Land (als Exportweltmeister basiert auch unser Wohlstand auf dieser Regelung). Grenzkontrollen für „Nicht-Europäer“ erfolgen entweder am Ort des „ersten Zugangs“ (Flug- und Schiffshafen), oder auf Basis der jeweiligen Gesetze und Regelungen. Auch unter Anwendung des Rechts auf Beantragung eines Asyls. Sollte dazu kein Grund bestehen, gibt es keine Einreise. Und natürlich gibt es dabei immer wieder einzelne Fälle, die großes Kopfschütteln hervorrufen. Aber so ist das mit „Rechtsstaat“, Halten an die Menschenrechte, Genfer Flüchtlingskonvention und an die EU-Verfassung. Anderen Ländern sind diese – auch von ihnen unterschriebenen – Konventionen egal. Diese Länder dachten wohl, dass diese nur dann gelten, wenn sie selbst in Not geraten. Die Begriffe „Solidarität“ und Vertragstreue müsste man diesen Ländern im Zweifel nochmals genauer erklären…
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