Auch wenn die Lebenszeichen immer weniger werden: Der Einzelhandel lebt! Trotz aller Unkenrufen, der zunehmenden Macht der Online-Riesen und der zunehmenden Online-Vermarktung durch die Hersteller! Befeuert natürlich auch durch die aktuelle Pandemie, in der Menschen durch die entsprechenden Regelungen ihre Einkäufe im stationären Handel drastisch einschränken. Oder dieser Handel immer wieder eingeschränkt wurde.

Aber auch diese Zeit wird vorbeigehen und es gibt Beispiele, wie der Einzelhandel vielleicht sogar stärker denn je aus dieser besonderen Herausforderung herausgehen kann. Mit Rückbesinnung, was Einzel-Handel tatsächlich bedeutet – nämlich Handeln mit dem Einzelnen, mit dem individuellen Kunden. Konsequente Ausrichtung auf dessen Wünsche und dies nicht nur bezogen auf die Wahl eines entsprechenden, attraktiven und besonderen Sortiments. Und der kluge Einzelhändler wird dann auch die Online-Medien für sein Geschäft einsetzen. Für seinen Auftritt, zur Bekanntmachung seines Angebotes, zur Kundengewinnung und zur „Pflege“ dieser Kunden.

Wie dies funktionieren kann, zeigt das folgende Beispiel aus der Praxis. Die Gründung eines sog. Unverpackt Ladens in München, mitten in der Pandemie. Und wie dessen Inhaberin sich an dem guten, alten „Tante Emma“ Laden ihrer Großmutter orientierte. Aber auch mit Hilfe der neuen Medien die alte mit der neuen Zeit erfolgreich verband.

Die Erfüllung eines Lebenstraums

„Woher weisst Du eigentlich, dass ich heute Geburtstag habe?“ „Wieder die gute Milch, 1 Kilo Kartoffeln und fünf Eier für meine Oma. Aber die von den glücklichen Hühnern“. „Endlich jemand, mit dem ich sprechen kann. Und die sich auch noch auskennt!“

Diese Sätze sind nur eine kleine Auswahl von Aussagen, die meine Tochter während der letzten Monate in ihrem Laden „Servus Resi – Natürlich Unverpackt“ gehört hat. Ende März 2020 eröffnet, mit vielen schlaflosen Nächten, großen Erwartungen, „zitternden Knien“ und einem beträchtlichen Risiko. Weil sie neben einem hohen Kredit ihre gesamten Ersparnisse in ihren Lebenstraum steckte.

In unseren täglichen „Telefon-Konferenzen“ diskutierten wir natürlich auch darüber, wie es gelingen kann, sich als stationärer Laden im harten Wettbewerb zu behaupten. Und dies weniger gegenüber dem „traditionellen“ Handel, sondern immer mehr gegenüber den Online-Riesen. Die fast alles bieten und im Preis-/Leistungsverhältnis anscheinend fast unschlagbar sind. Aber eben nur anscheinend und „fast“. Zusätzlich besteht natürlich immer noch die Herausforderung, sich immer noch in der ganz „besonderen“ Zeit zu behaupten. Ausreichend Kunden zu gewinnen, um damit zumindest die Fixkosten abzudecken.

Mehrmals versuchte ich in den letzten Monaten meine Tochter von den Vorteilen eines Online-Shops zu überzeugen. Oder auch von der Kombination Liefer-/Abholservice. Nicht nur, um den auferlegten Regeln – Maskenpflicht, nur maximal 4 Kunden gleichzeitig im Laden – aus dem Weg zu gehen. Sondern natürlich auch, um schnell, einfach und kostengünstig die benötigten Umsätze und daraus resultierenden Deckungsbeiträge zu erwirtschaften.

Der Einzelhandel lebt von Menschen

Aber da biss ich bei meiner Tochter auf Granit, die offensichtlich nicht nur ein paar Gene (Dickkopf, Hartnäckigkeit,…) ihres Vaters geerbt hat.

„Du predigst mir – und Deinen Studierenden – doch immer, dass man „Anders Als Alle Anderen“ sein soll. Dass man sich im Wettbewerb unterscheiden muss. Und dass gerade im Dienstleistungsbereich das „fünfte P“ aus dem Marketing-Mix das wichtigste ist. Nämlich P wie People. Oder übersetzt: Menschen machen den Unterschied. Mit deren Persönlichkeit, Expertise und Kundenorientierung.“ Was sollte ich darauf noch sagen? Mein schlaues Kind schlug mich mit meinen eigenen Waffen. Und schliesslich gilt ja auch noch das Chinesische Sprichwort: Wer nicht lächeln kann, sollte kein Geschäft eröffnen… 🙂

Klinkenputzen – Klinkenputzen – Klinkenputzen

Wie heißt es so schön: Ohne Fleiß kein Preis! Oder: Selbstständig bedeutet „Selbst und Ständig“. Nach diesem Motto agierte meine Tochter. Nutzte ihre freien Tage, um sich in der Nachbarschaft vorzustellen. Bei den Ladeninhaber*innen (Friseur, Kosmetikerin, Raumausstatter, Optiker, Schneiderin,…) in ihrem Viertel. Auch mit ganz besonderen „Appetitmachern“ aus ihrem Sortiment, den selbstgemachten „Resikugeln“ (Energy Bites) und Bountys. Sie besuchte KITAS – diejenigen, die noch eine kurze Zeit geöffnet waren. Nahm Kontakt mit Sportvereinen, Schulen, Kirchengemeinden und mit all denjenigen Organisationen auf, die in ihrer Nähe als mögliche Kunden infrage kamen. Sprach über spezielle Konditionen für deren Mitglieder und Angestellten. Lud zu einem Besuch ihres Ladens ein, bot Vorträge über Zero Waste, Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung an.

Die schlaue Verknüpfung von Online und der physischen Präsenz

So weit, so gut. Aber wie konnte „Otto Normalverbraucher*in“, im Umkreis von ca. 5 km zu ihrem Laden, erreicht werden? Und dabei natürlich ganz besonders diejenigen, für welche das „Unverpackt“ Konzept, Produkte (auch vegane) speziell aus biologischer und regionaler „Herstellung“, attraktiv wäre. Genauso, wie natürliche Kosmetika ohne chemische Zusatzstoffe und Mikroplastik, sowie ein Sortiment an Haushaltsartikeln aus nachhaltigen Materialien.

Gott sei Dank hatte meine Tochter schon Erfahrung in der Ansprache von ausgewählten Kunden mit dem Einsatz von Social Media Marketing gesammelt. Als Betriebsleiterin eines großen Sport- und Fitness-Centers, gar nicht weit weg von ihrem Laden. Speziell auf Facebook war sie schon immer ein Profi. Wie dort eine professionelle Business Seite aufgebaut wird, welche Beiträge erfolgreich sind und welche Themenspezifische Gruppen am besten zum eigenen Angebot passen. In welche dann die entsprechenden Beiträge eingestellt werden können. Und natürlich auch, welche Spielregeln für eine erfolgreiche, bezahlte Werbung gelten.  Wie dazu die genaue Auswahl der Zielgruppen (Alter, Geschlecht, Interessen, Lebensmittelpunkt) erfolgt und was zur  Kreation einer Aufmerksamkeitsstarken Anzeige gehört. Welches Budget zur Gewinnung von einer definierten Anzahl von Kunden nötig ist und welche „Schalttermine“ am erfolgreichsten sind.

Für ihren Auftritt auf Instagram unterstützte sie ein Profi aus ihrem persönlichen Umfeld. Und zur zielgenauen Ansprache von Personen in ihrer Nähe, welche berufstätig waren (Angestellte und Selbstständige), konnte ich meine Erfahrung auf der Plattform XING mit einbringen. Welche besonderen Erfolgsfaktoren (Kontaktaufnahme, Ansprache, …..) hier gelten und wie man aus einem Kontakt eine „Beziehung“ kreiert.

Der Köder muss dem Fisch schmecken – Der Kunde ist König

Die triviale Regel mit dem „Angler, dem Köder und dem Fisch“ kennt bestimmt jeder. Dass es eben nichts nützt, wenn das Angebot dem Hersteller/Händler ausgezeichnet gefällt. Aber die Fische/Kunden darauf einfach nicht anbeißen wollen. Deswegen ist meine Tochter ständig im Gespräch mit ihren Kunden. Wie ihnen das Produktsortiment zusagt, welche Erfahrungen sie damit gemacht haben und natürlich auch, was sie vermissen.

Keine 08/15 Produkte, sondern ganz spezielle und sorgsam ausgesuchte

Normalerweise kann man sich ja auch in einem Unverpackt Laden mit seinem Produktsortiment nicht großartig differenzieren. Aber trotzdem kann und muss man sich entscheiden, was man – bzw. die Kunden! – gerne möchten. Entweder Alltagsware, die es auch bei jedem Discounter oder Online-Shop gibt, aber oft in einem Ladengeschäft preislich nicht darstellbar. Oder man konzentriert sich auch hier auf sorgsam ausgewählte Produkte, die eben nicht 08/15, sondern etwas ganz besonderes sind.

Bezüglich des Geschmacks, der Qualität und natürlich auch wieder nach dem anvisierten Kundenstamm ausgerichtet. Zum Beispiel Produkte für Menschen, die sich für einen veganen Lebensstil entschieden haben. Auch für Menschen, die wegen ihrer Konstitution auf besondere Lebensmittel – zum Beispiel auch glutenfrei – angewiesen sind, oder eine basische Ernährung bevorzugen.

Meine Tochter hat sich für den zweiten Weg entschieden. Nämlich qualitativ hochwertig, Biologisch und soweit möglich regional angebaut. Und natürlich auch auf die beschriebenen Sonderwünsche ihrer Kunden ausgerichtet.

Der Einzelhandel lebt auch durch seine Lieferanten

Wenn man sich für hohe Produktqualität entschieden hat, sind dafür natürlich die entsprechenden Lieferanten, besser ausgedrückt „Partner“, die entsprechende Basis. Welche nicht nur mit der eigenen Philosophie übereinstimmen, sondern auf die man sich auch verlassen kann. Bezüglich kurzer Lieferfristen, Einhaltung der zugesagten Liefertermine und Qualitäts-Standards. Die Anzahl dieser Qualitätslieferanten wächst Gott sei Dank täglich. Die auch verstanden haben, was die Kunden ihrer Kunden (Einzelhändler) wollen und sich danach ausrichten. Egal, ob es sich um die „Produzenten“ von Obst, Gemüse, Getreide und Gewürzen handelt. Oder sogar um die Hersteller von Schokolade

Der Einzelhandel lebt also noch – Wird das aber so bleiben?

Aus meiner Beobachtung sind Menschen eben soziale Wesen und wollen mit „echten“ Menschen interagieren. Gerade nach einer Periode, in der diese Interaktion und die persönliche Begegnungen (jemanden „berühren“, jemandem in die Augen sehen, die Reaktion des Gegenüber spüren können) drastisch eingeschränkt sind. Genauso werden die Menschen dem Überangebot an austauschbaren Waren immer mehr überdrüssig. Angebote „von der Stange“ und aus Massenproduktion, die eben nicht den individuellen Bedarf und Geschmack des einzelnen Menschen treffen.

Der Erfolg des einzelnen Händlers – eher mehr des „Gastgebers“ – wird deswegen in der Schaffung einer ganz besonderen „Wohlfühl-Atmosphäre“ liegen. Mit professioneller, individueller Beratung, Dienst am Kunden und der ganzen Persönlichkeit und Expertise der im Einzelhandel agierenden Personen. Und natürlich mit dem Einsatz aller Möglichkeiten, welche die modernen Medien zur Erreichung der ausgewählten Zielgruppe bieten.

Wie so oft trennt dabei eine Krise die „Spreu vom Weizen“. Und ich kann nur hoffen, dass die Menge des „Weizens“ größer sein wird, als die Menge des „Spreus“… 🙂