Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Morde aus der rechtsextremen Szene – Nie hätte ich gedacht, dass unser Land noch einmal – und so heftig – mit diesen Themen konfrontiert werden. Deswegen finde ich ein ganz besonderes Buch ganz besonders spannend, welches mir eher per Zufall in die Hände geraten ist. Nämlich TURMSCHATTEN von Peter Grandl* (Eulenspiegel Verlagsgruppe) welches soeben im Handel erschienen ist.
In TURMSCHATTEN versetzt ein spektakulärer Fall von Selbstjustiz eine Kleinstadt in Aufruhr. Drei Neonazis werden im Keller eines Turms festgehalten, der Geiselnehmer überträgt das Ganze live im Netz und fordert seine Zuschauer zum Voting auf: Freilassung oder Hinrichtung? Gleichzeitig beginnt eine großangelegte Befreiungsaktion. Womit die Polizei nicht gerechnet hat: Sie haben es mit einem ehemaligen Mossad-Agenten zu tun, der nicht bereit ist zu verhandeln.
Ein packender Thriller, der die Grenzen von Gut und Böse aufhebt. Wer hat das Recht auf seiner Seite, und wo fängt Unrecht an? Was muss ein Mensch getan haben, um den Tod zu verdienen? Doch inhaltlich geht es um viel mehr, nämlich auch um die Anonymität der digitalen Kommunikation.
Meinungsbildung wird heute vor allem auch im Netz gemacht und ist eine Gefahr für unsere demokratischen Werte. Und so verwundert es vielleicht nicht, dass das beschrieben Szenario in TURMSCHATTEN – mit einer überraschenden Wendung am Ende – zum Nachdenken anregen soll. Verpackt hat Peter Grandl seine Botschaften in einen spannungsgeladenen Thriller, damit sein Buch vor allem in der Breite gelesen wird. Ein „normales“ Sachbuch hätte seiner Meinung nach nur wieder Eulen nach Athen getragen.
Leseprobe aus dem Roman TURMSCHATTEN
„Gottfried Wegener, der in der rechten Szene nur Steiner genannt wurde, hatte die Entführung der Politikerin Seligmann genauestens vorbereitet. Er war nicht nur kaltblütig und brutal, sondern ein gerissener Stratege, der Risiko und Kalkül genau abzuschätzen wusste. Er war sozusagen die »Exekutive« der rechten Szene, den die bundesweiten Kameradschaften für die schmutzigen Jobs anheuern konnten, vorausgesetzt, die Bezahlung stimmte.
Schon als kleines Kind hatte Gottfried Wegener eine nationalsozialistisch Erziehung genossen. Sein Vater, ein ehemaliger Luftwaffen-Pilot, schickte ihn schon als Fünfjährigen zur Wiking Jugend, die in Nordrhein-Westfahlen unter dem Deckmantel einer demokratischen Jugendorganisation die Tradition der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel ungehindert fortführte. In der rechten Szene galt die »Wiking Jugend« als die herausragende Kaderschule des europäischen Rechtsextremismus und nahm eine Schlüsselstellung in einschlägigen Organisationen und Netzwerken ein.
Gottfried liebte die paramilitärischen Übungen mit seinen Altersgenossen, das Marschieren, Exerzieren und das Leben auf den Zeltplätzen in den Schulferien. Für ihn brach eine Welt zusammen, als 1994 der Bundesinnenminister die Wiking Jugend als nationalsozialistische Organisation einstufte und verbot. Zu diesem Zeitpunkt war sie die größte neonazistische Jugendorganisation Europas gewesen. Aufgrund verschiedener Delikte wurde Gottfried schließlich zu sechs Jahren Haft verurteilt, kam aber schon nach knapp drei Jahren wegen guter Führung und »günstiger Sozialprognose« wieder auf freien Fuß. Dann verschwand er spurlos vom Radar des BND.
Gottfried Wegener lenkte den schwarzen Mercedes an den Stadtrand in ein stillgelegtes Kieswerk. Für die Fahrt hatte er seine Sturmmaske gegen ein Toupet und eine dicke Hornbrille mit Fensterglas getauscht, um auf keiner Überwachungskameraverwertbare Aufnahmen zu hinterlassen. Nach seinen Berechnungen hatte er mindestens zwei Stunden Zeit, bis die Fahndung nach Seligmann einsetzen würde. Sein Kamerad Udo Rennicke presste Seligmann immer noch den Kopf auf die Ledersitze, richtete sich nun aber langsam auf, nachdem Gottfried den Motor abgestellt hatte.
Draußen war es finsterste Nacht, und der Herbstwind hatte sich zu einem regelrechten Orkan entwickelt. Regen, Blätter und kleinere Äste peitschten gegen den Wagen und zeichneten sich im Lichtkegel der Scheinwerfer ab, die eine unwirtliche Gegend aus Kiesbergen und Gestrüpp beleuchteten. Aber dann erloschen auch sie, und trotz der wild pfeifenden Böen des Sturms war nun deutlich Seligmanns gepresster Atmen zu hören. Sie hyperventilierte, ihr Puls raste, und die Schmerzen in ihrem Gesicht hatten kein definierbares Zentrum mehr. Der Schmerz war einfach überall.
Aus dem Kofferraum kam ein leises Wimmern. Götze schien am Leben, aber wie lange noch? Ihre Gedanken kreisten panisch um einen möglichen Rettungseinsatz. Wann würde man sie als vermisst melden? Sie arbeitete oft lange, ihr Mann würde wahrscheinlich ins Bett gehen, ohne auch nur den geringsten Verdacht zu schöpfen. Eine Fahndung würde also nicht vor morgen früh beginnen. Was immer diese brutalen Verbrecher mit ihnen vor hatten, sie konnten sich Zeit damit lassen.
Plötzlich wurde Seligmann an den Haaren hochgerissen. Das verletzte Auge war gänzlich zugeschwollen und mit einer dicken Blutkruste bedeckt. Mit dem anderen Auge konnte sie in der Dunkelheit nur schemenhaft die Köpfe der beiden Entührer erkennen. Gottfried hatte wieder seine Sturmhaube übergestreift, knipste die Innenbeleuchtung an und drehte sich zu seiner Gefangenen um. Während Rennicke sie mit dem linken Arm umfasste und seine rechte Hand unter ihrem Kleid auf ihren Oberschenkel legte. Die Sturmmasken zeigten zwar nur die Augen ihrer Entführer, aber Seligmann konnte förmlich spüren, wie der Mann neben ihr sadistisch grinste.
Seligmann hatte keine Kraft mehr, hatte jeden Widerstand aufgegeben. Der schwarze Mercedes, gepeitscht von düsteren Naturgewalten, war zur gottverlassenen Folterkammer geworden. »Was … Was wollen Sie?«, stammelte sie leise. Die raue Hand des Mannes wanderte langsam unter dem Rock zwischen ihre Schenkel. Verzweifelt packte sie mit beiden Händen die kräftig behaarte Hand, um ihn aufzuhalten.
Da hörte sie deutlich ein Klicken neben ihrem Gesicht und ein Klappmesser blitzte in der linken Hand des Mannes auf. »Ganz schön wild, die Kleine. Wenn du nicht artig bist, verpass ich dir ein Gesicht wie Scarface.
Gottfried wandte sich kurz ab und brachte ein Foto zum Vorschein, das er unter das Deckenlicht hielt. Dabei zeigte seine verrutschte Sturmmaske noch mehr von dem Tattoo am Hals, doch Seligmann hatte keinen Blick mehr dafür. Auf dem Foto waren zwei Mädchen zu sehen, die eine junge Frau gerade vom Kindergarten abholte. Selbst die Hand zwischen ihren Beinen und der donnernde Orkan waren nun weit fort, denn inmitten dieser grausamen Szenerie erkannte sie das süße, unschuldige Lächeln ihrer beiden Enkelinnen.
Süffisant kommentierte Gottfried das Bild: »Zwei widerliche, kleine, jüdische Bastarde. Findest du nicht?« Die Stadträtin schnappte nach Luft, ihr Schluchzen wurde hysterisch und laut. »Nein, nein! Was sind Sie nur für Menschen?«
Über den Autor Peter Grandl
*Nach seinen Angaben hat Peter Grandl 5 Jahre an TURMSCHATTEN gearbeitet. Einen Großteil seiner Zeit investierte er in die Recherche der rechtsextremen Szene, aber auch dem jüdischen Leben in Deutschland. TURMSCHATTEN entlarvt dabei die Entwicklung der „rechten Szene“ seit Kriegsende bis 2010. Sein Thriller erhielt bereits vor der Veröffentlichung einen Buchpreis (von wattpad.com).