Dass das aktuelle Rentensystem kollabieren wird, scheint jetzt auch (endlich) in der Politik angekommen zu sein. So fordert z.B. Arbeitsminister Hubertus Heil eine sog. Grundrente für alle und seit kurzem auch die Pflichtversicherung für alle Selbstständigen. Aber diese Maßnahmen kommen mir vor, als würde man einem Patienten mit akutem Herzinfarkt ein Pflaster aufkleben, oder einem Allergiker empfehlen, einfach nicht mehr an die frische Luft zu gehen.

Wie ist denn eigentlich die aktuelle Situation, was kommt auf uns zu und warum reichen „Pflaster“ nicht mehr?

  • Meine Generation – die sog. „Baby Boomer“ – geht in spätestens 7 Jahren in Rente. Und immer mehr Menschen werden (Gott sei Dank) immer älter und haben damit länger Anspruch auf Rente.
  • Aufgrund des „Pillenknicks“ gerät die Alterspyramide schon jetzt dramatisch ins Wanken.
  • Durch den Einsatz von immer mehr Maschinen und Applikationen werden zukünftig immer mehr Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, gerade in „niedrigstufigen“ Berufen . Und damit ihr Einkommen und die Möglichkeit in die Sozialkassen einzuzahlen oder selbst für das Alter vorzusorgen.

Aus diesen Gründen wird das aktuelle Rentensystem in der bisherigen Form kollabieren und deswegen brauchen wir neue – radikale – Konzepte. Und zwar schnell.

Nach aktuellen Statistiken und Prognosen wird im Jahr 2050 jeder dritte Deutsche älter als 60 Jahre sein. Umgekehrt wird der Anteil der jungen Menschen weiter abnehmen. Heute sind gerade noch ca. 20% der Deutschen jünger als 20 Jahre, 1950 waren es noch etwa 30 Prozent. Für 2050 prognostiziert das Statistische Bundesamt einen Anteil von nur noch 16,3 Prozent. Der Altersaufbau wird sich dann innerhalb von hundert Jahren umgekehrt haben: 2050 wird es mehr als doppelt so viele ältere wie junge Menschen geben, während 1950 noch doppelt so viele Menschen unter 20 Jahre wie über 60 Jahre waren.

Zusätzlich sorgen immer bessere Lebensumstände, eine immer besser werdende Gesundheitsvorsorge und medizinische Möglichkeiten dafür, dass Menschen immer älter werden. So wird die Lebenserwartung für im Jahr 2015 geborenen Mädchen auf ca. 83 Jahre (Jungen ca. 78 Jahre) prognostiziert. Und nach den Prognosen für die dann im Jahr 2050 geborenen Menschen, leben diese um fast 5 Jahre länger als ihre Eltern, oder schon ca. 10 Jahre länger als ihre Großeltern, die in 1990 geboren wurden.

Beide Entwicklungen werden dramatische Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, speziell auf den noch gültigen „Generationen-Vertrag“, haben. In dem bis heute festgeschrieben ist, dass die junge, arbeitende Generation die Renten ihrer Eltern und Großeltern finanziert.

Aussitzen hilft nicht mehr  

Jetzt könnten ja alle Beteiligten – Unternehmen, Beschäftigte, Junge, Alte, die Politik, Sie und ich – die Augen vor dieser Entwicklung verschließen und die „Vogel Strauß-Politik“ verfolgen. Eben den Kopf in den Sand stecken und darauf hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen und dass ja noch jede Menge Zeit bis zum Eintreffen meiner Prognose vergehen wird. Dies ist vielleicht auch der Grund, warum die aktuelle Regierung erst einmal die Sicherung des bisherigen Rentenniveaus und das „Einfrieren“ der Rentenbeiträge und des Renteneintrittsalters nur bis zum Jahr 2025 im Fokus hat. Aber mit Nichtstun haben sich Probleme noch nie von selbst erledigt, auch wenn die zu ergreifenden Maßnahmen natürlich allen wehtun würden.

Welche Möglichkeiten gibt es, welche Einbußen würden Sie persönlich akzeptieren?

Jetzt frage ich einmal Sie ganz direkt: Wer von Ihnen wäre zum Beispiel bereit, drei Jahre länger (bis 70) bis zum offiziellen Eintritt in die Rente zu arbeiten? Wer wäre einverstanden, dass in 15 Jahren das Rentenniveau nicht mehr bei knapp 48% sondern bei vielleicht nur noch 43% des durchschnittlichen Jahresentgelts liegt? Was würden Ihre Kinder (und Sie) davon halten, wenn die Beiträge in die Rentenversicherung in 15 Jahren nicht bei 18%, sondern bei 25% liegen würden, eigentlich müssten? Und war es eine gute Idee, vor kurzer Zeit die Rente mit 63 (bei 45 Versicherungsjahren einzuführen?

Warum zahlen zukünftig nicht auch Maschinen und Applikationen in die Rentenkasse ein?

Stand heute haben wir bereits ca. 4,7 Millionen Arbeitssuchende (Bezieher von ALG I und ALG II), denen nur ca. 1,2 Mio. an Offenen Stellen zur Verfügung stehen. Wie wären eigentlich unsere Gesellschaft und unsere Sozialsysteme darauf vorbereitet, wenn die Konjunktur nicht mehr brummen, sondern einbrechen würde? Und damit noch mehr Menschen auf solidarische und/oder staatliche Unterstützung angewiesen wären. Welche Antworten könnten wir anbieten, wenn im Rahmen der Digitalisierung die Zahl der unbeschäftigten Menschen dramatisch zunehmen würde? Wenn nämlich die „einfachen“ Routine-Aufgaben immer mehr von Maschinen und Software-Applikationen übernommen und zusätzlich beim Umstieg vom Verbrennungs- auf den Elektromotor immer weniger Menschen zum Herstellen neuer Autos gebraucht werden. Und der Wegfall dieser Arbeitsplätze mit geringer Qualifikation nicht durch die neu entstehenden, im hoch qualifizierten Bereich angesiedelten Aufgaben kompensiert werden kann.

Deswegen ist es Zeit zum Handeln – Wir brauchen neue Konzepte

Wenn meine Prognosen und Annahmen auch nur zu einem kleinen Teil zutreffen, dann müssen alle Beteiligten schnellstens handeln. Nicht nur, um den „sozialen Frieden“ langfristig zu sichern und den bereits angehäuften „sozialen Sprengstoff“ nicht noch größer werden zu lassen. Neue, radikale Konzepte werden gebraucht, ein „Weiter so“ können wir uns nicht weiter erlauben. Egal, ob wir ohne Ideologien und Vorurteile das Thema „Grundsicherung für alle“, oder eine „Maschinen-/ Wertschöpfungssteuer“ diskutieren und bewerten. Die Pflicht-Rentenversicherung für Beamte und Selbstständige sowieso. Weil irgendjemand muss ja in die Kasse einzahlen, bevor ein anderer etwas herausnehmen kann. Und wenn die Einzahler immer weniger werden, dann ist die Kasse irgendwann leer. Auch deswegen traue ich dem legendären Spruch „Die Rente ist sicher“ von Norbert Blüm immer weniger. Obwohl es schon beruhigend wäre, wenn zumindest seine Prognose wenigstens im Ansatz noch stimmen würde. Oder was meinen Sie?