„ – Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“

So lautet Artikel 1 der Menschenrechts-Charta. Wie sieht es aber heute, 70 Jahre nach der „Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte“, mit diesem Anspruch aus, was hat die Menschheit in dieser Zeitspanne gelernt? Jetzt könnten wir behaupten, es hat in Europa noch nie so eine lange Zeitspanne des Friedens gegeben. Menschen auf diesem Kontinent leben in persönlicher Freiheit zusammen, seit 29 Jahren gibt es sogar keine trennende Mauer mehr in Deutschland. In unserem Land haben ALLE Menschen immer noch den in der Erklärung vom 10.12.1948 beschriebenen Anspruch auf die verkündeten

„Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“

Auch bei den anderen Menschenrechten, dass z.B. sich jeder frei bewegen und nicht willkürlich festgenommen, oder in Haft gehalten werden darf. Religions- und Versammlungsfreiheitfreiheit sind selbstverständlich, das Recht auf freie Meinungsäusserung (solange diese Meinung andere nicht beleidigt oder diskriminiert) ebenso.

Anspruch und Wirklichkeit

Wie so oft, gibt es aber auch bei der Definition von Menschenrechten, deren Auslegung und vor allem deren Durchsetzung, große Unterschiede zwischen „Anspruch“ und Wirklichkeit. Nicht nur, dass gerade das vor 70 Jahren zu recht beschriebene Recht, „in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“ von vielen Menschen und Staaten heutzutage wieder infrage gestellt, bzw. sogar schlichtweg abgelehnt wird. Sondern auch, dass eigentlich „unscheinbare“, selbstverständliche Menschenrechte entweder nicht mehr bekannt sind, oder einfach von den dafür Verantwortlichen – dem Staat, den Unternehmen – nicht berücksichtigt werden.

Das Recht auf Soziale Sicherheit, Arbeit und gerechte, befriedigende Arbeitsbedingungen – Interessiert dies keinen mehr?

500 Menschen in unserem Land haben ein Vermögen im Wert von 500 Milliarden Euro. Dies entspricht ungefähr dem jährlichen Brutto-Inlands-Produkt der Schweiz. Auf der anderen Seite leben ca. 15 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Millionen von Menschen können aufgrund von Teilzeit- und/oder befristeten Arbeitsverträgen ihr Leben nicht planen, oder dieses Leben aufgrund von einem „Hunger-“ (Mindest-) Lohn nicht Menschenwürdig bestreiten. Oder sind sogar auf die solidarische Hilfe von anderen Menschen angewiesen. Wissen nicht, ob ihre Rente später zum Leben reicht, oder wie dann dieses Leben aussehen soll. Vielleicht abgeschoben in eine anonyme „Aufbewahrungsanstalt“, in ein Pflege- oder Altersheim, mit oft unsäglichen Bedingungen. Wo viele Menschen nicht nur ihr Leben im Alter ohne Würde verbringen, sondern auch würdelos diese Welt verlassen müssen.

All diese Menschen, die unter diesen prekären Verhältnissen ihr Dasein fristen, fühlen sich berechtigterweise vom Leben benachteiligt, missachtet, vergessen, wertlos und dazu missbraucht, mit ihrer Arbeitskraft den Reichtum von anderen zu mehren. Ist es dann noch ein großes Wunder, dass auch diese Menschen immer wütender auf das aktuelle Gesellschaftssystem und neidisch auf diejenigen werden, denen es vielleicht noch schlechter geht, wie ihnen selbst? Ihre Wut auf die Strasse tragen und gegen die Menschen protestieren, welche das beschriebene Recht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung in Anspruch nehmen wollen. Diese Wut und dieser Protest vielleicht auch aus Angst, dass sich durch die Aufnahme und den Schutz dieser Menschen ihre persönliche Situation noch weiter verschlechtert. Dass der sowieso schon begrenzte Wohnraum noch weniger wird, die für sie bereits jetzt schon nicht mehr bezahlbaren Mieten noch mehr steigen und das zusätzliche Angebot von billigen Arbeitskräften ihren Anspruch auf „gerechte, befriedigende Arbeitsbedingungen“ noch mehr ad absurdum führt.

Eben nicht so, wie es der Artikel 23 der Menschenrechts-Charta beschreibt:

„Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert“

Jammern auf hohem Niveau – Die Ausbeutung anderer Länder

Jetzt können wir in Deutschland ja noch von Glück sprechen, dass wir hier per Zufall in „paradiesischen“ Verhältnissen geboren wurden und nicht in anderen Regionen der Welt. In denen Dürre oder Überschwemmungen, Epidemien, immer noch Krieg, Verfolgung und Terror, oder simpel der Mangel an sauberem Trinkwasser, ein Menschenwürdiges Leben unmöglich machen. Länder, die wir mit unserer Lebensweise und unseren (aufgezwungenen) Ansprüchen nach immer mehr und mehr, billiger und billiger rücksichtslos ausbeuten. Egal, ob in Indien, Bangladesh oder Pakistan Kinder für einen Euro am Tag schuften müssen, damit wir hier T-Shirts und Schuhe für einen Spott-Preis kaufen können. Oder wir auch durch unsere Lebensweise jede Menge Ursachen schaffen, welche den dort lebenden Menschen die Grundlage für ein lebenswertes Leben entziehen.

So wie es ein Kämpfer für die Menschenrechte, Mahatma Gandhi, beschrieb:

„Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse. Aber nicht für jedermanns Gier“.

Haben sich die Menschenrechte überholt – Sind Menschen dazu überhaupt fähig?

Sind die vor 70 Jahren festgeschriebenen Menschenrechte jetzt nur noch überflüssige „Sozialromantik“, die wir uns heute nicht mehr leisten wollen, oder können? War der Schock nach den Gräueln des II. Weltkriegs einfach so (zu) groß und wurden deswegen vollkommen unrealistische Regeln für ein gerechtes, Menschenwürdiges Zusammenleben der Menschen auf unserem Planeten aufgestellt? Sind wir Menschen überhaupt zu diesem solidarischen, mitmenschlichen, hilfsbereiten und fairen Zusammenleben fähig? Oder geht es nicht einfach darum, dass es bei diesem Zusammenleben immer Gewinner und Verlierer geben wird und dass jeder dafür sorgen soll, ja sogar muss, auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Und sollte jemand auf der „falschen“ Seite geboren zu sein, dann hat er oder sie halt Pech gehabt und muss sehen, wo er bleibt.

Im Zweifel dann halt mit einem neuen „Versuch“ in einem neuen Leben, so wie es ja auch eine Religion (Hinduismus) in einem der ärmsten Länder der Welt, Indien, beinhaltet. Bei der sich die Menschen tatsächlich mit ihren aktuellen Lebensumständen abzufinden haben, aber dabei mit ihrer Lebensweise (Karma) schon ihr zukünftiges Leben – dann in einem anderen Körper – bestimmen können.

Genauso wird ja von vielen Menschen behauptet, dass die Inhalte der Menschenrechte purer Kommunismus seien und dass die Verfechter dieser Rechte „linke“ Spinner sind, welche nur von dem Geld anderer leben wollen. Wobei es auch hier schon bemerkenswert ist, dass sich gerade „kommunistische“ Länder, wie die damalige Sowjetunion, die Tschechoslowakei und das damalige Jugoslawien, bei der Abstimmung vor 70 Jahren ihrer Stimme enthielten. Und noch bemerkenswerter ist, dass sich ein Land – die Vereinigten Staaten von Amerika – damals als Initiator für den Schutz von Menschenrechten stark machte. Ein Land, dessen aktueller Präsident diese Rechte vermutlich für „Fake News“ hält, solange sie nicht seinen eigenen Interessen dienen.

Gebt den Menschen wieder ihre Würde zurück – Gerade die Unternehmen sind gefordert!

Unabhängig von Ideologien, persönlichen Einstellungen und Absichten ist mir eines aber klar: Je weniger Würde die Menschen besitzen, je mehr diese Würde von immer mehr Menschen missachtet wird, umso früher werden wir wieder Situationen wie im finstersten Kapitel unserer Geschichte erleben. Menschen und Organisationen, welche die Wut und Angst der entwürdigten Menschen benutzen, um daraus persönliche Vorteile zu erzielen und/oder an die Macht zu kommen. Auch wieder bestimmen zu können, welche Menschen überhaupt welche Rechte in Anspruch nehmen dürfen und in welchem Umfang. Und je mehr es privilegierte Menschen gibt, welche anderen wieder empfehlen, dass sie halt „Brot statt Kuchen essen sollen“, umso mehr wird der „Druck im Kessel“ steigen. Mit vermutlich ebenfalls einem ähnlichen Ausgang, wie zur Zeit dieser Empfehlung, kurz vor der Französischen Revolution vor ca. 250 Jahren.

Deswegen: Die Würde des Menschen ist und bleibt für mich unantastbar! Dies sollte auch der „Leitstern“ für alle Verantwortlichen in unserer Gesellschaft sein. Nicht nur für unser eigenes Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen, sondern auch für unsere Politiker*innen bei deren Entscheidungen. Die sachliche, ohne ideologische Voreingenommenheit zu führende Diskussion über die Einführung einer sog. Grundsicherung ist dabei längst überfällig. Und natürlich auch, dass sich die Verantwortlichen an der Spitze von Unternehmen wieder an den Artikel 14 unseres Grundgesetzes erinnern:

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Unternehmen und Unternehmer können nämlich mit ihrem Handeln massgeblich das menschenwürdige Leben nicht nur ihrer eigenen Mitarbeiter*innen beeinflussen. Sie können und müssen sich entscheiden, ob sie bereit sind, sich als gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft zu sehen und im Rahmen der immer noch geltenden „Sozialen Marktwirtschaft“ persönliche Verantwortung für den Zusammenhalt dieser Gesellschaft übernehmen. Oder, ob sie sich nur verpflichtet fühlen, das Kapital – ihr eigenes oder das der Eigentümer – zu mehren, koste es, was es wolle. Diese Unternehmen und Unternehmer haben es in ihrer Hand, für eine „anständige“ Arbeit auch den dafür gerechtfertigten Lohn zu bezahlen. Mit den Beschäftigten „anständig“ umzugehen und sie eben nicht als billige Arbeitskräfte auszubeuten. Oder bei der Gier nach noch mehr eigenem Gewinn, diejenigen rücksichtslos austauschen oder nach Hause schicken, die für diesen Gewinn ursprünglich gesorgt haben, aber plötzlich nicht mehr gebraucht werden.

Am besten, verantwortungsvolle, kluge Unternehmer erinnern sich bei ihren Entscheidungen einfach an die Erkenntnis von Robert Bosch:

„Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe. Sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne zahle.“

Bin ich jetzt ein Träumer?

Ich meine, dass wir auch mit dieser Rückbesinnung auf „alte Kaufmanns-Tugenden“ und auf die SOZIALE Marktwirtschaft unser Zusammenarbeiten und Zusammenleben so organisieren könnten, dass viele Menschen wieder ihre Würde zurückbekommen würden. Vielleicht nicht alle, aber bestimmt ein großer Teil. Ohne neue, komplizierte und überflüssige Gesetze, einfach auf Basis dessen, was die Weltgemeinschaft aus gutem Grund schon vor 70 Jahren vereinbart hat.

Aber vielleicht bin ich ja nur ein Träumer, so wie John Lennon, der bei „Imagine“ seine Vorstellung einer besseren Welt beschrieb. Wobei ich aber ungern wie dieser enden möchte, oder wie Martin Luther King. Der seinen Traum – I have a dream – von einer gerechten Welt ebenfalls mit seinem Leben bezahlen musste.
Was meinen Sie?