Die Work-Life-Balance hat ausgedient! Dies ist die mutige Behauptung von meinem Gast-Autor Michael Decker*, auf Basis seiner Beobachtungen und Erfahrungen in der Arbeitswelt. In der seit vielen Jahren um die richtige „Balance“ der zwei Lebenswelten – Arbeit und Leben – gerungen und gestritten wird. Auch darüber, welche „Welt“ mehr „Gewicht“ bekommen sollte und wie man dieses Gewicht messen und bewerten kann. Nach Meinung von Michael Decker ist dies aber der vollkommen falsche Ansatz. Der in die Irre führt und das generelle Problem nicht löst. Seine Analyse dazu und seine entsprechenden Vorschläge für ein neues Denken hat er nachfolgend beschrieben:
„Wir Menschen sind schon eine besondere Spezies – glauben wir zumindest. Denn wir sind die einzigen bekannten Lebewesen, die zwischen „Arbeit“ und „Leben“ unterscheiden. Das macht sonst niemand. Dabei halten wir uns für besonders hoch entwickelt. Doch soweit können wir eigentlich nicht sein, wenn wir Leben und Arbeit so strikt trennen.
Nüchtern betrachtet werden wir zu einem bestimmten Zeitpunkt geboren, um dann irgendwann nach einer gewissen Zeit wieder zu sterben. Das, was dazwischen liegt, nennen wir Leben. Und diese Spanne ist im Vergleich zu den Dimensionen des Universums für jeden für uns lächerlich gering. Diese uns gegebene Zeit verkürzen wir noch, indem wir davon die Arbeitszeit abziehen.
Ist das nicht schizophren? Welches halbwegs intelligente und logisch handelnde Wesen würde seine ohnehin schon kurze Lebenszeit bewusst per Definition noch einmal verkürzen?
Keines. Aber wir Menschen machen das.
Das ist unlogisch und paradox. Vor allem angesichts der Tatsache, dass wir ja keine Katzen sind, die immerhin sieben Leben zur Verfügung haben. Jeder Mensch kann zu jedem Zeitpunkt sterben, wir wissen nicht, wann und wo. Diese Unkenntnis ist gut und hat Vorteile. Sie ist aber auch schlecht, weil sie dazu führt, dass wir unachtsam mit unserer Lebenszeit umgehen. Jeder von uns würde doch alles daransetzen, aus der Zeit, die ihm zur Verfügung steht,das Optimum herauszuholen.
Unser Arrangement mit unnötigen und unmöglichen Umständen
Doch solche Gedankenspiele sind graue Theorie, weil wir unsere Lebenszeit eben nicht kennen. Deshalb vergeuden wir kostbare Zeit, indem wir uns mit unsäglichen Umständen arrangieren. Die Rechnung sieht also so aus: Von der Lebenszeit ziehen wir die Arbeitszeit ab, dann noch die Zeit, in der wir uns mit unerträglichen Situationen herumschlagen und schlussendlich müssen wir auch noch die Zeit abziehen, in der wir schlafen.
Was dann nochübrig bleibt, nennen wir Leben. Nur diese kurze Phase wird von dem Gefühl getragen „Jetzt lebe ich wirklich!“.
Hand aufs Herz: Wie viel bleibt nach dieser Betrachtung noch übrig, was wir im
allgemeinen Sprachgebrauch dann als Leben bezeichnen? Bei vielen von uns dürfte das nicht viel sein. Oft ist es nicht einmal mehr der Rede wert, was vom wahren Leben noch übrigbleibt.
Und wie soll das Wenige zu einer Work-Life-Balance führen? Ist diese Frustration der Grund, warum uns der Antrieb fehlt? Das wäre dann Resignation – und die ist kontraproduktiv. Denn Work-Life-Balance zielt auf eine ausgewogene Zeiteinteilung ab. Lässt man das Gesagte auf sich wirken, kann einem nur übel werden.
Meine Freundin Inge: Vom „Zombie“ zum menschlichen Wesen
Doch genau die beschriebene Situation kenne ich selbst nur zu gut. Wobei – nicht ich selbst persönlich, sondern ich kenne sie aus Erzählungen meiner besten Freundin Inge. Sie ist der Prototyp Mensch, auf den die eben beschriebene Weltsicht passt. Immer, wenn ich sie privat am Wochenende treffe, höre ich die gleichen Worte: „Jetzt fängt das Leben für mich erst an!“. Oder „Jetzt weiß ich wieder, wofür ich mich die ganze Woche so quäle“. Sie ist wohl eine Vertreterin der Work-Life-Balance in Reinkultur. Für sie findet Ihr Leben nur außerhalb der Arbeit statt. Und ihre Arbeit macht sie nur, um zu leben. Das bedeutet doch nichts anderes, als das sie jeden Tag aufs Neue „stirbt“ und trotzdem aktiv ist, obwohl ja Arbeit bei ihr nicht zu ihrem Leben zählt. Ist das nicht traurig? Von Montag bis Freitag, von 8 bis 18 Uhr ein Zombie – und nur am Wochenende ein menschliches Wesen. Keine schöne Vorstellung.
Mein Freund Magnus: Ein lebender Roboter
Aber es gibt nicht nur Zombies, sondern auch Roboter. Das sind dann die Vertreter der Spezies „ich lebe, um zu arbeiten“. So einer ist mein Freund Magnus, seines Zeichens erfolgreicher Jungunternehmer. Dieser Typus Mensch kennt außer seiner Arbeit nichts anderes. Er definiert sich vollkommen und ausschließlich über seinen Job und die beruflichen Erfolge. Das Positive daran ist, dass solche „Roboter-Typen“ eigentlich keinen Unterschied zwischen Arbeit und Leben machen, weil sie die Arbeit zum Leben brauchen, wie andere die Luft zum Atmen. Damit ist er zwar auch irgendwie eine Art Zombie, nur dass er das Leben abseits der Arbeit nicht wirklich vermisst.
Die Suchenden und der Abschied von der Work-Life-Balance
Alle anderen Menschen, die weder die eine noch die andere Sichtweise auf das Arbeitsleben teilen, könnte man als „Sucher“ bezeichnen. Sie versuchen die Balance zu halten zwischen Arbeits- und Privatleben, kommen aber damit nicht zu Rande und damit ihrem Ziel auch nicht näher. Wenn es denn doch gelingt, so sind die Erfolge nicht von Dauer.
Dabei ist die Lösung für alle Typen, Zombies, Roboter und Sucher so einfach wie genial:
Wir müssen uns nur vollständig von der Idee der Work-Life-Balance verabschieden. Sie haben richtig gelesen: Erst wenn wir uns von dem Ansatz Work-Life-Balance radikal verabschieden, werden wir in unserem Leben die persönliche Balance zwischen den eigenen Bedürfnissen und den fremden Anforderungen an uns wirklich realisieren.
Denn der Ansatz „Work-Life-Balance“ beinhaltet zwei Systemfehler, die ein Scheitern aller Versuche quasi vorprogrammieren:
Der erste Aspekt im Ansatz „Work-Life-Balance“ ist die definierte Trennung zwischen „Arbeit“ und „Leben“. Damit wird unterstellt, dass das eine negativ und das andere positiv besetzt ist. Und wenn negativ und positiv aufeinandertreffen, dann bleibt – nichts.
Der zweite Aspekt geht dahin, dass man Dinge und Verhaltensweise nur dann ändern kann, wenn man sich nicht nur an der Oberfläche bewegt, sondern auch in die Tiefe geht. Ans Eingemachte, wie man so schön sagt. Das tun aber nur wenige Menschen und deshalb scheitern an mangelnder Tiefe ebenfalls viele Work-Life-Balance-Versuche.
Unser neues Leben in unserem neuen „Haus“
Aus diesem Grund wählen wir ein anderes Bild: Unser Leben sehen wir ab heute als Haus. Und wie ein Haus besteht unser Leben aus einzelnen Bausteinen und Elementen. Alle Elemente sind dabei gleichberechtigt und gleich wichtig. Nur so achten wir nämlich darauf, dass alles intakt bleibt und so alle Lebenstürme in bester Qualität ausbalanciert werden können. Und wie bei einem Haus sagt eine attraktive Fassade nichts über die tragenden Teile und die Stabilität eines Bauwerks aus.
Nur wenn die Bausubstanz gut und beständig ist, kann es Stürmen trotzen. Denn was für Häuser, gilt, gilt auch für uns: Die Mängel, die nicht sichtbar sind, können gefährlicher für uns sein, als der offensichtliche Mangel. Es gilt also die Sinne zu schärfen und hinter die Fassade zu schauen. Aber wer macht das schon gerne und wer kann das alleine schaffen?“
Hat Michael Decker jetzt mit seiner Beobachtung recht, dass die Work-Life-Balance ausgedient hat? Oder steht er mit seinen Beobachtungen und Erfahrungen alleine da? Um dies herauszufinden, würde ich mich sehr über Ihre Erfahrungen und Meinungen zu diesem Gast-Beitrag freuen. Und so, wie ich Michael Decker kenne, dürfen Sie ihn auch sehr gerne direkt nach seinen Empfehlungen fragen… :-))
*Michael Decker, Jahrgang 1965, Diplom-Kaufmann, Hörbuchautor, Kommunikationscoach und Managementberater. Als Inhaber von Ensize Germany UG exklusiver Distributor in Deutschland für Puzzle DISC, sowie weitere Potenzial- und Persönlichkeitsanalysen für Individuen, Teams und Organisationen.
Das ist ja nun mal ein Vorschlag. Einfach die Wirklichkeit anders sehen statt sie zu verändern, oder mich. Ich glaube kaum, dass man damit lange gut fährt. Fremdbestimmtes Arbeiten und Leben macht unzufrieden und krank. Daran müßte man/Frau etwas ändern. Zur Zeit erleben wir in der Arbeitswelt jedoch eine unglaubliche Erstarkung der Fremdbestimmung. Damit einher geht die Botschaft: Du mußt es nur anders denken, dann …. Nein, handeln!
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Der Begriff Work-Life-Balance ist von Anfang an frei erfunden und entspricht überhaupt nicht der Realität. Der Beitrag von Michael Decker macht doch eines ganz klar, wer versucht zwischen Leben und Arbeiten zu unterscheiden ist von Haus aus auf dem Holzweg.
Leben ist Arbeit und Arbeit ist leben (auch nicht neu). Wer sich zur Arbeit in seinem Beruf zwingen muss, sollte sich überlegen ob er vielleicht auf der falschen Schiene ist und sollte das ändern. Leben nach der Arbeit? Arbeiten um zu Leben?
Für mich ist Leben = Arbeit und umgekehrt. Ich habe in meinem (Arbeits-) Leben viele Menschen kennengelernt, mit denen ich nicht nur geschäftlichen Kontakt hatte und immer noch habe, die mir viel gebracht haben in meinem Selbstverständnis und in meinem „Leben“ aber auch positive Erfahrungen in meiner „Arbeit“.
Ein Grund für mich, auch mit 71 Jahren weiter zu arbeiten / zu leben
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Letztlich geht es nicht nur um die Balance zwischen Arbeit und Leben, es geht darum, zwischen wichtig und unwichtig, zwischen sinnvoll und sinnfrei zu unterscheiden. Dazu sollten wir die eigenen Wünsche und die, die andere, die die Gesellschaft an uns heranträgt, darauf hinterfragen, wie wichtig sie für uns und für andere Menschen sind.
Gerade gestern habe ich auf meinem Sinnsucher-Blog einen Artikel dazu veröffentlicht: https://ralfgutmann.com/2018/10/17/wohin-rennt-die-zeit/
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Ich hatte vor fast drei Jahren einen burn out und im Zuge dessen mir das Buch “Schluss mit dem Spagat” von Felicitas Richter zu Gemüte geführt – eines der darin enthaltenen Kapitel handelt ebenfalls genau von dem Thema, dass es sowas wie eine work-life-Balance gar nicht gibt. Unter anderem auch daher, weil manche dazu neigen, noch mehr in die eine Waagschale zu werfen, je mehr sie in die andere legen- was am Ende noch mehr stresst. Die Quintessenz ist tatsächlich die selbe: der initiale Fehler, „leben“ und „arbeiten“ zu trennen. Mir haben die Ausführungen dazu sowie generell das Buch (zb der Bereich „raus aus der Perfektionismus-Falle) sehr sehr geholfen.
Dennoch kenne ich auch noch immer die beschriebenen Zombie- oder Roboter-Menschen. Insgesamt also ein Thema, mit dem es sich zu beschäftigen lohnt!
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Ich mag den Begriff work-life-Balance nicht und frage mich, wer das erfunden hat. Für mich gibt es nur eine Lebensbalance, die alle wichtigen Lebensbereiche umfasst. Denn wir brauchen keinen Ausgleich zur anstrengenden Arbeit. Es geht darum so zu arbeiten, dass es Spaß macht und energiereich ist. Also das wie ich es tue, ist entscheidend. Dazu gehört auch, Normen, Regeln, Glaubenssätze über Bord zu werfen, die uns von einem ausgeglichenen glücklichen Keben abhalten.
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