Selbstständig zu sein, bedeutet ja nicht nur, sich endlich selbst verwirklichen zu können und sein eigener Herr zu sein. Sondern auch, dass man/Frau damit für das eigene Schicksal und das Füllen des Kühl- und Kleiderschrankes verantwortlich ist. Warum immer mehr Menschen trotzdem dieses Risiko eingehen, welche Fallgruben lauern und was zum Erfolg dazugehört, schildert in nachfolgendem Interview Stefanie Jürgen. Die als Gründerin und Geschäftsführerin der baobab agentur* vor noch nicht allzu langer Zeit den Sprung in dieses kalte Wasser gewagt und das entsprechende Wagnis bis heute noch nicht bereut hat.

Wie war eigentlich Dein Leben vor der Selbstständigkeit?

In meinem Leben vor der Selbstständigkeit geriet ich als Angestellte in Vollzeit und als alleinerziehende Mutter immer mehr in das bekannte „Hamsterrad“. Der Tag bis ins Detail strukturiert, jede Minute war verplant, ständig im Stress und unter permanentem Druck, alle meine Pflichten unter einen Hut zu bekommen. Der Tag begann früh um sechs: Alles vorbereiten, das Kind in den Kindergarten bringen, zur Arbeit hetzen und dort mein Bestes geben. Zwischendurch einkaufen, kochen und die wenige Freizeit planen. Nach dem Job nach Hause und noch zwei Stunden was vom Kind haben. Oft war ich so erschöpft, dass ich Abends mit meiner Tochter beim Kuscheln eingeschlafen bin.

Was war Deine Motivation, Dich selbstständig zu machen?

In meinem alten Job mit den beschriebenen Rahmenbedingungen wurde ich enorm eingegrenzt. Ich wollte aber neue Dinge ausprobieren, meine Kreativität vollends ausleben und Arbeitszeiten flexibel gestalten. Das war im letzten Unternehmen, in strengen Strukturen und Hierarchien, nicht möglich. Als „Single Mama“ wurde ich immer wieder komisch angeschaut, klein gehalten und mein Potenzial nicht wahrgenommen und ausgeschöpft. Schon das Verschiebung des Arbeitsbeginns war ein Kampf, Arbeitszeit verkürzen, war erst gar nicht möglich. Das macht auf Dauer unzufrieden und krank. Gesundheitlich ging es mir zu der Zeit immer schlechter: lange Zeit eine Nasennebenhöhlen-Entzündung und dann zum Herbst des Jahres 2015 die Diagnose, Krebs. Ich wusste, da steckt etwas hinter. Ich musste möglicherweise mein Leben auf den Kopf stellen, um da ohne einschneidende Behandlungen raus zu kommen. Eine konsequente Entscheidung war fällig. Mir war klar, ich möchte für meine Tochter weiter da sein, nur nicht so … Das war quasi auch meine Motivation in die Selbstständigkeit zu gehen und das Abenteuer Unternehmertum zu wagen.

Was geniesst Du jetzt bei Deiner Selbstständigkeit am meisten?

Ganz klar: Meine Woche, die Zeit für den Beruf und für mein Leben flexibel zu gestalten. Diese Flexibilität und Freiheit genieße ich tatsächlich am Meisten. Auch entscheiden zu können, wo ich meine Aufgaben erledigen möchte – nur mit einem Laptop und Telefon ausgerüstet sein zu müssen, erlebe ich als ausgesprochenes Privileg. Wenn viel zu tun ist, arbeite ich auch gerne viel. Auch am Wochenende, oder setze mich am Abend noch mal hin, wenn mein Kind im Bett ist. Wenn es mal ruhiger ist, nehme ich mir dann meine Auszeiten und hole mir Kraft und neue Inspirationen über meinen Sport, oder einfach einen Spaziergang in der Natur. Oder verbringe Zeit mit meiner Tochter, hole diese auch mal früher aus der Schule ab und wir gehen bei schönem Wetter an den See oder einfach auf den Spielplatz mit einem Eis.

Auf was müssen Deiner Meinung nach Selbstständige verzichten können?

Verzichten müssen die Selbstständigen auf ein planbares, regelmäßiges Einkommen. Manchmal werden dein privates Leben und die sozialen Kontakte eingeschränkt, weil es eben „brennt“ und ein Auftrag beendet werden muss. Für dieses Arbeitsleben gehört zwar viel Planung, aber genauso auch Spontanität.

Wie hat sich Deine Selbstständigkeit entwickelt, welche Höhen und Tiefen gab es? 

Ich hatte das große Glück, dass ich am Anfang meiner Selbstständigkeit durch meine Kontakte ein gutes Auftragspolster hatte. Sprich, ich musste mich nicht wirklich um neue Kunden, also die Akquise, kümmern. Das lerne ich erst jetzt 1,5 Jahre nach meiner Gründung und ich merke, es fällt mir oft schwer … Ein weiterer „Fehler“ war, meine Preise am Anfang der Gründung ziemlich niedrig angesetzt zu haben. Das war allerdings ein wichtiger Lernprozess, denn ich lernte meinen Wert kennen und was ich wirklich drauf habe.

Als Angestellte wurde mir oft das Gefühl vermittelt, dass ich nichts kann. Doch meine Berufserfahrung als Grafikdesignerin hat jetzt seinen Wert – vor allem, dass ich die Branche und deren Anforderungen kenne, weil ich in Druckereien, Werbeagenturen und anderen Unternehmen in der freien Wirtschaft gearbeitet habe. Nachdem ich in meiner Selbstständigkeit realisierte, dass meine Preiskalkulation nicht die Kosten deckt und ich dann konsequenterweise die Stundensätze erhöht habe, sind die meisten meiner Kunden weggebrochen. Dadurch hat sich viel in mir und im Außen verändert, ich vertraue jetzt noch mehr meiner eigenen Intuition. Mein altes Netzwerk ist zum größten Teil zwar verschwunden, aber im Aufbau eines neuen achte ich noch stärker darauf, wer von den jeweiligen Unternehmern zu mir und meinen Werten passt.

Welche Fehler würdest Du rückblickend nicht mehr machen und was sind das für „Werte“, von denen Du sprichst?

Erst viel später oder am Ende des Lebens wissen wir warum bestimmte Dinge im Leben passiert sind. Meiner Meinung nach gibt es nicht wirklich „Fehler“. Alles ist ein Weg, den wir im Leben beschreiten und so Erfahrungen sammeln und uns weiterentwickeln.

Dazu gehört auch meine Beobachtung auf Netzwerk-Veranstaltungen, wie Unternehmer mit der eigenen Visitenkarte umgehen. Oft wurde dieser erste Kontakt mit einem Unternehmen und einem Menschen achtlos auf den Tisch geschmissen, oder heimlich aus der Tasche gezogen und kommentarlos übergeben. Das fand ich total respektlos! Ich habe gemerkt, wie wichtig mir die „richtige“ Übergabe der Visitenkarte unter Unternehmern ist. In Asien ist es so, dass die Visitenkarte mit beiden Händen übergeben wird. Damit zeigt der Unternehmer Wertschätzung gegenüber sich selbst, dem eigenen Unternehmen und der anderen Person.

Dadurch, dass ich das selbst mit meiner „Karte“ pflege, erziele ich eine gewisse Wirkung. Die Firmen, die von mir eine Logoentwicklung und Geschäftsausstattung kreiert bekommen, die wirklich zu ihnen passt, erhalten damit gleichzeitig eine im wahrsten Sinne des Wortes gemeinte Vorlage. Nämlich eine Plattform für die Gestaltung ihrer Unternehmenskultur im innern und für die Präsentation dieser Kultur nach aussen. Diese Art des Umgangs mit meinen Auftraggebern ist mir in meiner Arbeit wichtig und ein zentraler Bestandteil meiner Mission. Nämlich die Unternehmen im Aussenauftritt unverwechselbar, anfassbar, zu machen und das Umgehen miteinander auch in der westlichen Gesellschaft zu verbessern.

Welche Erlebnisse haben Dich in Deiner Entscheidung bestätigt, Deine eigene Chefin zu sein?

Bestätigt in der Entscheidung meine eigene Chefin zu sein, hat mich die Reaktion von Außen, dass meine Arbeit und Können wirklich gut sind. Speziell Menschen, die als Profis in Bereichen wie Marketing oder Kommunikation tätig sind, schätzen meine präzise, schöpferische und zügige Umsetzung. Ich bin eben auch ein Macher und Umsetzer, jedoch auch eine Künstlerin, die durch Entspannung oder Sport auf ungewöhnliche Ideen kommt.

Stimmt das geflügelte Wort von „Selbst und Ständig“, wie strukturierst Du Deine Arbeitstage?

Was ich an der Selbstständigkeit besonders schätze, ist die flexible Art des Arbeitens. Ich muss dafür nicht unbedingt genau von Montag bis Freitag exakt acht Stunden am Stück investieren, um effizient gute Ergebnisse zu produzieren. Deshalb kann ich auch nur bedingt das Sprichwort „selbst und ständig“ bestätigen. Ja, wir arbeiten manchmal viel, nur ist für das richtige Maß jeder selbst verantwortlich. Ich merke immer mehr, dass das Verständnis von einem Job, der Motivation Geld zu verdienen und dem Leben stark im Wandel ist. Leben wir nur, um zu Arbeiten? Oder sollten wir eher Arbeiten, um leben zu können? Natürlich kannst du dir mehr Luxus erschaffen, indem du richtig ran klotzt. Spannend für mich war aber zu erfahren, wie wenig Konsum und „Dinge“ man wirklich zu einem erfüllenden Leben braucht. Und mein Lebensgefühl von Erfüllung, Erfolg und Freiheit soll Wirklichkeit werden. Dafür braucht es nicht viel – Spaß am Leben.

Da bei meiner Tätigkeit fast jeder Tag anders verläuft, ist für mich ein organisierter, gleich ablaufender Start in diesen Tag ganz wichtig. Um eben in Ruhe, gut vorbereitet und gelassen die auf mich wartenden Herausforderungen annehmen und bewältigen zu können.   

Was sind aus Deiner Sicht die wichtigsten Punkte, um am Markt erfolgreich zu sein?

Sei dir im Klaren über deine eigenen Werte. Denn du wirst genau die Menschen anziehen, die ebenfalls deine Werte leben. Überlege vor der Positionierung auf dem Markt, wer deine Zielgruppe ist und ob du die breite Masse bedienen möchtest, oder lieber eine Nische. Kläre die Frage für dich: Was hebt dich von anderen in deinem Business ab? Und! Kenne deine Zahlen im Business und auch sonst im Leben. Der Stundensatz spiegelt deinen Selbstwert – optimiere diesen unaufhörlich und du wirst als Experte auf deinem Gebiet wahrgenommen. Und finde Deine Bühne, wo du dich zeigen kannst, weil nur dadurch wirst du sichtbar.

An was arbeitest Du gerade, was sind Deine nächsten Pläne?

Wichtig und entscheidend sind die nächsten Schritte: Kooperationspartner zu finden und ein Netzwerk zu schaffen, in dem alle gewinnen. Angefangen habe ich bereits mit dem Bereich Video, wo ich mit Johannes als erfahrenem Profi hinter der Kamera in ausgewählten Projekten zusammenarbeite. Mein Wunsch wäre es, ein zuverlässiges (Kooperations) Team um mich zu haben, mit dem wir einen Kunden rundum „versorgen“ können. Persönlich entdecke ich gerade neue Wege der Vernetzung, wie Golf spielen und probiere neue Sportarten und Lebensweisen aus … Zum Beispiel Yoga und welche Ernährung wirklich zu mir passt.

Was ist Dein Rat an andere, die gerade auf dem Weg in eine Selbständigkeit sind?

Als erstes würde ich den Rat in den Vordergrund stellen, der ja Konfuzius zugeschrieben wird: „Wähle einen Beruf, den du liebst und du brauchst keinen einzigen Tag in deinem Leben arbeiten“. Sich eben genau diesen Beruf aussuchen, bei dem man seine Talente einsetzen und entwickeln kann. Und die anstehenden Aufgaben mit Herzblut und mit Leidenschaft anpacken darf und eben nicht muss.

Aber auch sehr genau darauf achten, ob damit auch Geld zu verdienen ist und dies nachhhaltig. Es ist nämlich nicht immer einfach, es gibt einige Lernprozesse, das Unternehmertum ist nicht jedermanns oder jederfraus Sache. Nur wer geduldig ist, dran bleibt, Lust auf Weiterentwicklung hat, viel Neugier mitbringt und seine eigenen kleinen Schritte geht, erhält seinen eigenen, definierten Erfolg.

Ein wichtiger Punkt zum Erreichen dieses Erfolges ist die Vereinbarung von Privatleben und beruflichen Aufgaben. Hier hilft die Unterstützung durch das eigene, soziale Netzwerk, zum Beispiel durch Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, Freunde, oder die eigene Familie. Ich bin zum Beispiel sehr dankbar für die Unterstützung, die ich vom Vater meiner Tochter bekomme, er fängt viel auf.

Würdest Du diesen Schritt noch einmal machen?

Ich bin dieses Wagnis eingegangen, weil ich meinen Beruf liebe und weil der neue Weg für mich Ausdruck von Freiheit und Unabhängigkeit ist. Ich bin so dankbar für alle Erfahrungen und Begegnungen, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich heute mit meiner baobab agentur bin. Und dabei stehe ich ja erst am Anfang und freue mich auf alles, was noch kommt. Neugier ist nämlich mein zweiter Vorname … Und wie sagte Steve Jobs so schön: „stay hungry, stay foolish.“ :-))

Stefanie, ich danke Dir sehr für dieses Gespräch und besonders für die Einblicke in Dein Leben und Tun!

*Weil sie ihr Wissen als Grafikerin, ihre Erfahrung und entsprechenden Ideen selbst verwirklichen und umsetzen wollte, hat sich Stefanie Jürgen vor kurzem mit ihrer baobab agentur selbstständig gemacht. Der Name ist angelehnt an den Namen des „Lebensbaums“. Dabei sieht sie sich als Umsetzerin,Macherin und Unterstützerin von Unternehmen in deren eigenständigen, authentischen und wirkungsvollen Präsentation. Die Menschen und ihre Geschichten stehen im Mittelpunkt. Die baobab agentur findet die „Story“ und zeigt die Menschen dahinter und das, was sie ausmacht. Alle dafür benötigten Medien, von Print bis Video, können durch die baobab agentur erstellt werden. Besonders hilfreich ist dabei das Einfühlungsvermögen von Stefanie Jürgen, ihr gutes Zuhören und die Visionen der Unternehmen und Unternehmer im Blick zu haben.