Komplimente ohne Komplikationen, dies scheint nach der #Metoo-Debatte immer schwieriger zu werden. Als Mann weiss man bald gar nicht mehr, was noch erlaubt ist, wie man sich zu verhalten hat und ob Mann bei entsprechenden Komplimenten schon mit einem Bein im Gefängnis steht. Wie sieht dies eigentlich „Frau“, was ist noch gerngesehen, was ist erlaubt und wo werden Grenzen überschritten?

Für diese Diskussion habe ich mir fachkundige Unterstützung geholt. Von Petra Sonntag*, die aufgrund ihrer beruflichen Positionen jeden Tag mit „Mann“ zu tun hat. Und sich dazu im nachfolgenden Gastbeitrag ihre eigenen Gedanken gemacht hat:

“ #metoo und die Folgen

Seitdem weibliche Filmstars ihre Erlebnisse sexueller Belästigung und Nötigung bekannt gemacht haben, steht der generelle Umgang von Männern und Frauen auf dem Prüfstand. Zwischen Kollegen und Kolleginnen Mitarbeiterinnen und Vorgesetzten und zwischen den Geschlechtern in Geschäftsbeziehungen. Wo hört ein harmloser Flirt auf, wo fängt sexuelle Belästigung an? Darf ich als Mann meiner Kollegin oder Mitarbeiterin noch Komplimente machen? Darf ich mich als Frau auf Flirtversuche einlassen, ohne gleich als Freiwild zu gelten? Fakt ist: Vor den weltweit geposteten Berichten von weiblichen Opfern sexueller Belästigung unter #Metoo bekannten sich 20 Prozent der deutschen Arbeitnehmer zu einem Flirt mit Kollegen (Quelle: Forsa).

Immerhin knapp die Hälfte aller Arbeitnehmer machte die eigene Flirtwilligkeit von Sympathie und Vorgehensweise des Gegenübers ab. In deutschen Büros gab es also durchaus einen nahrhaften Boden für Komplimente & Co., ohne böse Absichten, wohlgemerkt. Und bei aller political correctness, bei allem Bemühen um einen einwandfreien Umgang zwischen den Geschlechtern wünsche ich mir, dass es weiterhin möglich ist, Komplimente zu machen und zu empfangen, ohne ins gesellschaftliche oder berufliche Abseits zu geraten. Denn Komplimente sind für mich das Salz in der Suppe, der Extra-Kick im Alltagstrott, das Knistern im Kanon des Bürotrubels.

Mann und Frau geben ihr Geschlecht nicht an der Bürotür ab

Ich habe im Laufe der Jahre in unterschiedlichsten Teams gearbeitet – von rein weiblich besetzten über gemischte bis hin zu rein männlichen, wo Frauen nur den Job der Sekretärin oder Assistentin hatten. Mit Abstand am angenehmsten empfand ich das Arbeiten in gut gemischten Teams. Denn die Atmosphäre war hier entspannter und lockerer als unter seinesgleichen. Das bedeutet keinesfalls, dass unbändig geflirtet wurde. Doch wenn Männer und Frauen zusammenarbeiten, begegnen sie sich eben nicht nur als Kollegen, sondern auch als Mann und Frau. Und diese Ebene bringt eine Energie mit sich, die durchaus belebend und auflockernd fürs Betriebsklima sein kann.

Wenn mir ein männlicher Kollege besonders sympathisch ist und ich mit ihm auf einer Wellenlänge bin, warum soll ich dann nicht auch gelegentlich mit ihm flirten dürfen? Wenn wir beide Spaß daran haben und keine romantischen Absichten damit verbinden, sehe ich keinen Grund, dies künftig zu unterlassen. Meine Weiblichkeit gebe ich nicht an der Bürotür ab – und genauso wenig erwarte ich von meinen männlichen Kollegen, dass sie ab sofort nur noch mit Scheuklappen durchs Büro gehen und sich lieber auf die Zunge beißen als einen Flirtversuch zu unternehmen. Wie nüchtern wäre fortan das Arbeitsleben… Denn geäußerte Komplimente haben gleich mehrere Funktionen, die dem Miteinander im Alltag durchaus zuträglich sind:

Komplimente als Zeichen der Wahrnehmung

Ob ich mir mit einer Leistung oder einem Outfit besonders viel Mühe gegeben habe – wenn ich für das Ergebnis ein Kompliment bekomme, weiß ich, dass es wahrgenommen wurde. Und nach dieser Wahrnehmung sehnen sich im Grunde ihres Herzens die meisten von uns. Ein Kompliment wird auf der emotionalen Ebene gesendet und empfangen, jenseits aller nüchternen Sachlichkeit und Objektivität. Und diese Ebene macht das Miteinander menschlich. Nein, das bedeutet nicht ein Leben nach dem Motto: Ich bekomme ein Kompliment, also bin ich. Komplimente dürfen nicht zum alleinigen Barometer fürs Selbstwertgefühl werden. Doch sie dürfen als willkommenes Indiz dafür betrachtet werden, dass wir gesehen werden. Und mal ehrlich, wollen Sie wirklich unsichtbar durchs Leben gehen?

Komplimente als Wertschätzung

Äußerungen wie „Das Projekt mit dir hat echt Spaß gemacht.“ oder „Wow, das Kleid steht dir wirklich gut.“ gehen runter wie Öl. Auch wenn wir Frauen dazu neigen, ein Kompliment verlegen abzutun, freuen wir uns innerlich dennoch darüber, es bekommen zu haben. Glauben Sie mir. Denn es befriedigt unser zutiefst menschliches Bedürfnis nach sozialer Anerkennung. Damit ein Kompliment seine Funktion als Wertschätzung erfüllen kann, sollte es allerdings ebenso individuell wie halbwegs ernst gemeint sein. Männer, die im Büro täglich jedem weiblichen Wesen die gleichen Komplimente in geringer Abwandlung machen, erfüllen zwar das Gießkannenprinzip mit Bravour, verfehlen aber bereits im Ansatz eine wertschätzende Wirkung. Da ist Schweigen dann doch Gold, mit oder ohne #Me too.

Komplimente als Mittel zum Zweck

Schon als Kind sehnen wir uns nach Lob und Anerkennung. Wir wünschen uns die Wertschätzung unserer Leistung, freuen uns über Komplimente für unser Erscheinungsbild. So bestätigt uns das elterliche Kompliment darin, Dinge richtig zu machen oder sogar gut in etwas zu sein. Mit anderen Worten: Es stärkt unser Selbstwertgefühl. Auch im Erwachsenenalter ist diese Sehnsucht noch ein starker Treiber fürs Handeln. Ich erinnere mich an eine Redaktionssekretärin, deren Laune und Produktivität abhängig davon waren, wie sie sowohl als Person als auch ihr Einsatz von anderen gewürdigt wurde. Komplimente waren der Türöffner, um das zu bekommen, was man wollte. Selbstverständlich gilt auch hier: Das Kompliment muss glaubwürdig sein. Kommt es als solches an, schafft ein Kompliment nicht nur eine Wohlfühlatmosphäre, sondern motiviert das Gegenüber auch noch, sein Bestes zu geben. Und dieses Prinzip greift bestimmt auch noch nach #Me too.

Komplimente sind heute hoffentlich noch genauso möglich wie all die Jahre zuvor – sie gehören zum Spiel zwischen Mann und Frau. Es sollte nur Einigkeit über die Spielregeln herrschen. Komplimente machen Spaß, wenn sie giftfrei sind, ohne Subtext und sexuelle Anspielungen, dafür mit Esprit und ehrlichem Interesse am Gegenüber. Dann müssen Männer auch künftig keine Komplikationen bei Komplimenten fürchten. Geht ein Kompliment daneben oder gar unter die Gürtellinie, dann ist es an uns Frauen, konsequent und schlagfertig zu reagieren. Je selbstbewusster wir unangemessene Avancen parieren, desto sichtbarer werden Grenzen. Und wenn weibliches Selbstbewusstsein salonfähig ist, dann dürften männliche Salonlöwen vom Aussterben bedroht sein. Also, liebe Herren, heute schon ein wirklich gutes Kompliment gemacht?

 

*Petra Sonntag lebt als freie Journalistin und Texterin bei Hamburg. Sie arbeitet für Tageszeitungen und Magazine ebenso wie für Kunden aus der Wirtschaft im gesamten deutschsprachigen Raum. Ihrer Liebe zum Wort verleiht sie u.a. Ausdruck in ihrer Kolumne auf www.das-wort-von-sonntag.de. Wenn sie Zeit übrig hat, arbeitet sie an ihrem ersten Roman.