Nichts hat die letzten Jahre die Menschen in unserem Land so beschäftigt, wie die angebliche Flüchtlingskrise. Und wie der einfache Satz, Wir schaffen das!

Und schon vor mehr als 2.000 Jahren wusste der römische Politiker und Philosoph Seneca worauf es nicht nur in der Politik ankommt:

„Mangelndes Vertrauen ist nichts als das Ergebnis von Schwierigkeiten. Schwierigkeiten haben ihren Ursprung in mangelndem Vertrauen.“

Auch deswegen könnte es helfen, in der immer noch von verschiedenen Menschen  und Parteien aufgeheizten Diskussion um „gestrandete“ Menschen jegliches Politisieren und Polemisieren einfach mal bei Seite zu lassen. Stattdessen sachlich und nüchtern zu analysieren, was Menschen von anderen erwarten, um ihnen vertrauen zu können. Warum das Vertrauen in die Politik aber auf dem Tiefpunkt angelangt ist und wie dieses Vertrauen wieder zurückgewonnen werden kann. Und natürlich auch in Ruhe zu bewerten, ob dieses „wir schaffen das“ tatsächlich eingetroffen ist.

1. Überlegen, was man sagt.

Nicht einfach „drauf los plappern“ und jeden Tag eine andere Meinung haben. Anstehende Herausforderungen mit kühlem Kopf analysieren, Optionen bewerten, Entscheidungen treffen. Gerade in Krisensituationen kommt es darauf an, Menschen für einen gewählten Kurs nicht nur „mitzunehmen“, sondern dafür zu gewinnen. Die Entwicklung einer starken, überzeugenden Vision kann dabei der „Leuchtturm“ sein, an dem sich alle anderen orientieren können. Dabei muss das „Nachher“ attraktiver als das „Jetzt“ beschrieben werden. Das einfache Fordern von verstärkten Anstrengungen reicht dazu nicht aus. Menschen wollen wissen, warum und wofür sie sich besonders engagieren sollen. Gerade, wenn sie zum ersten mal mit einer entsprechenden Ausnahmesituation konfrontiert werden.

Angela Merkel begründete ihr Handeln und ihren Antrieb auf der „Sommer-Pressekonferenz“ am 31.8.2015 unter anderem mit dem Hinweis auf unsere und die Europäische Verfassung („Schutz von politisch Verfolgten und von Kriegsflüchtlingen“). Sie wollte mit dem zwischenzeitlich schon legendären Satz „Deutschland ist ein starkes Land, wir haben schon so viel geschafft, wir schaffen das“ Zuversicht verbreiten und Richtung geben. Zusätzlich versuchte sie (Pressekonferenz am 15.9.15), die Menschen für Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft zu sensibilisieren und zu aktivieren: „Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Ihre Einstellung, ihr Handeln, kann rückblickend aus völkerrechtlicher und humanitärer Sicht als richtig und visionär betrachtet werden. Ihr Aufruf war ein klares Signal für das ganze Land, aber gleichzeitig schon der Ausgangspunkt für den anschließend eingetretenen Vertrauensverlust.

2. Wir schaffen das – Das was man sagt, auch Tun!

Wenn es darum geht, Unternehmen oder Menschen zu retten, ist oft nicht das „Wie“ entscheidend. Auch nicht Perfektion in Bezug auf die im Normalfall geltenden Regeln und Vorschriften, sondern eher das „Überhaupt“. Der gewählte Weg kann dann nach der geglückten Mission endlos diskutiert werden, dieser stellt sich dann im Nachhinein oft nicht als der optimale dar. Aber gerade, wenn die Zeit knapp wird, gilt die bewährte Lebensweisheit: „Nicht zu lange Quatschen, sondern einfach Machen“!

Wieder das Agieren von Angela Merkel im Rückblick (Ihre Aussage am 15. September): „Wenn andere sagten, sie seien überrascht worden, könne sie angesichts der Notlage der Flüchtlinge in Ungarn nur antworten: „Es gibt Situationen, in denen muss entschieden werden. Ich konnte nicht zwölf Stunden warten und überlegen.“

3. Verlässlichkeit und Stabilität, gerade auch im Team

Nicht nur in einer Krise wird von den handelnden Personen ein klarer Kurs erwartet, auch das Zurückstellen von eigenen Befindlichkeiten, Egoismen und Eifersüchteleien in dem verantwortlichen Führungsteam. Wenn hier „Machtspielchen“ betrieben werden (auch schon im Hinblick auf die Zeit nach der Krise), wird die Glaubwürdigkeit von einzelnen Botschaften erschüttert. Beschlossene Maßnahmen werden zerredet und diese von den davon betroffenen Menschen gar nicht erst angepackt.

Rückblickend hat sich aus meiner Sicht der Streit und Zank innerhalb der Regierungskoalition, speziell zwischen den Parteivorsitzenden der Unions-Parteien, verheerend auf das Vertrauen in die Notwendigkeit und Wirksamkeit getroffener Entscheidungen ausgewirkt. Ein stimmiges Bild von Einigkeit und Geschlossenheit zur Bewältigung der bestehenden Herausforderungen sieht anders aus. Damit wurde auch das Vertrauen hinsichtlich der Erreichung der ausgerufenen Vision („Wir schaffen das“) Tag für Tag geschwächt und wertvolle Zeit verschwendet. Und besonders erschwerend kommt hinzu, dass ein gemeinsames Handeln innerhalb der Europäischen UNION immer noch nicht zu erkennen ist, ganz im Gegenteil. Verstärktes Abschotten, zunehmender Nationalismus und auch offene Fremdenfeindlichkeit stehen im kompletten Widerspruch zu den in der Europäischen Verfassung beschriebenen Werten. Wie „dem Schutz vor Zurückweisung von flüchtenden Menschen in Übereinstimmung mit den geltenden völkerrechtlichen Verpflichtungen“.

4. Information und Miteinander reden

Davon lieber zu viel als zu wenig, regelmäßig, bei besonderen Ereignissen „ad hoc“, am besten immer direkt und persönlich. Den Menschen ehrlich Rede und Antwort stehen, verfügbar und sichtbar sein, sich nicht „im Elfenbeinturm“ verstecken. Die Betroffenen haben ein Recht darauf, laufend und umfassend informiert zu werden, auch über „bad news“. Wenn wichtige Informationen (siehe Ereignisse um die „Kölner Silvester-Nacht“) nur zögerlich, sogar widersprüchlich, gegeben werden, ist das Kommunikationsdesaster perfekt. Das Vertrauen in die Richtigkeit der Nachricht, in die Glaubwürdigkeit des „Senders“ ist zerstört. Dann muss im Zweifel für die Verwirrung und Enttäuschung des „Empfängers“ über die unvollständigen Nachrichten auch das jeweilige Medium herhalten. Und wenn bei Menschen die vermittelte Botschaft generell nicht in deren Weltbild passt, kann man sich nur schwer gegen den verkürzten Vorwurf der sogenannten „Lügenpresse“ wehren.

5. Wir schaffen das – Haben wir es tatsächlich geschafft?

Auch wenn in den letzten Jahren viel Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und in das Krisenmanagement der politischen Institutionen verloren gegangen ist, gibt es trotzdem starke Anzeichen zur erfolgreichen Bewältigung der angeblichen Flüchtlingskrise. Millionen von Menschen engagieren sich weiterhin in vielfältiger Weise (gerade auch im Ehrenamt), um die immer noch bestehenden Herausforderungen „zu schaffen“. Entscheidend ist aber, dass getroffene Entscheidungen jetzt endlich umgesetzt werden, der eingeschlagene Kurs beibehalten und Haltung von den Verantwortlichen bewiesen wird. Wenn dies nicht passiert, wenn PolitikerInnen weiterhin „ihr Fähnchen in den Wind halten“, nur um bei den bevorstehenden Wahlen Stimmen zu sichern, verlieren sie noch mehr Glaubwürdigkeit und damit noch mehr Vertrauen. Seneca würde dazu wieder sagen: „Den guten Steuermann lernt man erst im Sturm kennen“.

6. Wie sehen es andere Menschen?

Zum Schluss sollten wir natürlich auch die Menschen fragen, die bei uns Schutz suchten und Aufnahme fanden. Von denen bereits Hunderttausende ihren Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten. Als nicht mehr zu missende Auszubildende, Praktikanten, Arbeiter oder Angestellte. Deren Antwort fällt vermutlich ganz anders aus, als die Antwort von Menschen, denen das Schicksal anderer Menschen vollkommen egal zu schein seint. Die mit den Händen in der Tasche an der Seitenlinie stehen – oder mit ihren Autos die Rettungsgasse auf der Autobahn blockieren – aber mit wohlfeilen Ratschlägen sämtliche Krisen der Welt lösen können. Aber selbst etwas zur Lösung von Problemen beitragen, die man auch mit verschuldet hat? Sich für andere Menschen entsprechend engagieren, vor allem für Menschen, die man gar nicht kennt? Warum denn, schliesslich sind die anderen Menschen ja selbst daran schuld, dass sie auf der südlichen Seite des Mittelmeeres geboren wurden unnd nicht auf der nördlichen. Und sollen doch einfach dort bleiben, egal, ob sie dort leben können, oder nicht. So die Antwort von vielen Menschen. Aber Gott sei Dank nicht von allen…