Ernst Holzmann: Erlebnisse - Erfahrungen - Erkenntnisse

Meine Gedanken über das, was im Leben wirklich zählt.

Zusammen-Leben

„Fremde sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten“

Fremde nicht ausnützen

Wie alle fünf Jahre war ich gestern zu dem Klassentreffen mit meinen ehemaligen Mitschüler/innen im tiefkatholischen Unterallgäu in Bayern. Wie fast zu erwarten, entzündete sich auch im Lauf dieses Abends eine hitzige Diskussion über die flüchtenden Menschen, die bei uns die letzten Jahre Schutz gesucht haben. Deren Aufnahme und deren Schutz von nicht wenigen meiner Klassenkameraden kategorisch abgelehnt wurde. Und diese Haltung auch mit als Grund für das Wahlergebnis von deutlich über 20% einer sogenannten „Alternativen“ Partei in dieser Region angegeben wurde.

Auf der stürmischen (Orkan Herwart war mein Begleiter) Rückfahrt nach Potsdam ging mir die Diskussion und die Einstellung meiner ehemaligen Freunde nicht mehr aus dem Kopf. Gerade, weil es diesen und ihren Kindern fast ausnahmslos blendend ging, sie ihre „Schäfchen“ im Trockenen hatten und mit Gelassenheit auf den baldigen Renteneintritt hinarbeiten konnten. Aber keiner von ihnen hatte bisher direkten Kontakt mit den knapp zwei Dutzend „neuen Nachbarn“ in ihrem Ort (bei gut 1.000 „Ureinwohnern“) und sie sahen auch keine Notwendigkeit sich um diese Menschen (einer der „besorgten“ Dorfbewohner bezeichnete sie sogar als „Neger“ und asoziales Gesocks, das anderen nur auf der Tasche liegt) zu kümmern.

Schon waren wir bei anderen politischen Ereignissen angekommen. Die Separatismus-Bestrebungen von Katalonien wurden heftig unterstützt, Bayern sollte es den Katalanen so schnell wie möglich nachmachen. Auch, um endlich den Milliarden-Transfer von Steuern in die östlichen Bundesländer zu stopppen, die mit Geld sowieso nicht umgehen könnten. Und ob es so schlau war, eine deutsche Wiedervereinigung durchzuführen, wurde ebenfalls heftig bezweifelt. Man hatte schliesslich im schönen Allgäu nichts davon, ausser weniger Geld im Portemonnaie und vielleicht mal einen preisgünstigen Urlaub an der Ostsee.

Als ich bei meiner Fahrt im Autoradio eine „aufhellende“ Musik zu dem Wetter und zu meinen Gedanken suchte, blieb ich an Bayern 1 und an der „Katholischen Morgenfeier“ hängen. Deren Inhalt und die entsprechende Kommentierung mich noch nachdenklicher machten. Auch weil wir in der hitzigen Diskussion am Abend zuvor auch kurz das Thema „Christ sein“ und das entsprechende Gebot der Nächstenliebe streiften.

Ein Auszug aus dem entsprechenden Text der „Morgenfeier“ und der Kommentierung durch Prof. Franz Sedlmeier, Augsburg:

„….Das zeigt ein weiterer Text aus dem Alten Testament. Der heutige Sonntag hat ihn als alttestamentliche Lesung vorgesehen. Er stammt aus dem 2. Buch Mose, dem Buch Exodus, aus einer Gesetzessammlung, in der das gesellschaftliche Leben im alten Israel geregelt wird. Dabei gilt die ganze Aufmerksamkeit den Verlierern in der Gesellschaft, den Benachteiligten. Am Verhalten ihnen gegenüber wird aufgezeigt, was Nächstenliebe ganz konkret bedeuten kann.

„So spricht der Herr: Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen. Ihr sollt keine Witwe oder Waise ausnützen. Wenn du sie ausnützt und sie zu mir schreit, werde ich auf ihren Klageschrei hören. Mein Zorn wird entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwerte schlagen, so dass eure Frauen Witwen und eure Söhne Waisen werden“ (Ex 22,20-23).

Diese Aussage ist heftig. Sie ist schockierend. Sie will auch schockieren. Vom Zorn Gottes ist die Rede. Gott erscheint als Krieger, als Kämpfer, der Menschen mit dem Schwert ans Leben geht. Auch wenn es eine bildhafte Sprache ist, es fällt schwer sie zu verstehen. Was ist damit gemeint?

Angesichts von Unrecht, das zum Himmel schreit, spricht der eben gehörte Abschnitt vom Schutz der Fremden, der Witwen und Waisen, von jenen Gruppen also, die in der Gesellschaft unter erschwerten Bedingungen leben müssen. Weil die Gefahr besteht, dass die Stärkeren in der Gesellschaft aus der Not Armen noch zusätzlichen Profit schlagen, ergreift der Gott Partei für die Schwachen. Er stellt sich entschieden auf die Seite der Armen und Bedrängten und ist deren Anwalt.

Zunächst werden die Fremden erwähnt. Angesichts der Gefahr, sie als billige Lohnarbeiter auszubeuten und zu versklaven, wird Israel an seine eigene Geschichte erinnert: Ihr seid doch in Ägypten Fremde gewesen und wurdet ausgebeutet und versklavt. Ihr wisst, wie es dem Fremden zumute ist. Respektiert sie in ihrer Würde. Die Erinnerung an die eigene Geschichte soll dazu helfen, ein Gespür, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft zu entwickeln und den Fremden beizustehen. So kann Nächstenliebe aussehen, die aus der Gottesliebe kommt.“

Je länger ich der „Katholischen Morgenfeier“ beiwohnte, umso mehr geriet ich ins Grübeln. Auch, warum anscheinend immer mehr Christen das Gebot der Nächstenliebe „fallweise“ auslegen möchten. Oder warum Solidarität mit Schwachen nur dann gut zu sein scheint, wenn man diese selber braucht.

Oder auch über Parteien, die „Christlich“ sogar im Namen führen. Von den sogenannten „Patrioten“ ganz zu schweigen, die angeblich zwar das „Christliche Abendland“ verteidigen wollen, aber offensichtlich mit diesem „Abendland“ und dem Kern und der Wurzel von „Christlich“ so gut wie gar nichts anfangen können.

Ich hing meinen Gedanken nach, das Autoradio spielte eine Zwischenmusik und die Evangelische Morgenfeier begann. Bei der es über Martin Luther, die Sintflut, Noah, den Regenbogen und „den gnädigen Gott“ ging.

Beide Morgenandachten waren vorbei, es kamen die Nachrichten. Neben dem Orkan Herwart und seinen angerichteten Schäden (ausgefallene Züge und Flüge, entwurzelte Bäume, abgedeckte Häuser,…) wurde auch über die ins Stocken geratenen Verhandlungen bei der möglichen „Jamaika“-Regierungskoalition berichtet. Bei denen sich die „Christlichen“ Parteien heftig mit den „Grünen“ in die Haare gekommen waren. Auch über die gegensätzlichen Positionen bei „Obergrenzen“ und Familiennachzug für Flüchtlinge.

Wieder kamen mir meine ehemaligen Kumpels in den Sinn. Von denen viele bestimmt wie jeden Sonntag in der Kirche waren und an der Heiligen Messe teilnahmen. Ein Gottesdienst, der mangels einheimischem Nachwuchs schon seit Jahren im Wechsel von „Fremden“ aus allen Herren Ländern (Indien, Polen,…) geleitet wurde. Ob meine Diskuttanten vom gestrigen Abend allerdings die heutige Botschaft über „Beschützen“ und Nächstenliebe gehört und vor allem verstanden haben, kann ich „aus der Ferne“ schlecht beurteilen. Meine Hoffnung dazu ist heute aber geringer, als ich noch vor ein paar Tagen geglaubt hätte…

 

Die komplette Katholische Morgenfeier (Lesung, Kommentierung) ist unter diesem Link nachzulesen (über Download des PDF): http://www.br.de/themen/religion/sendungen/morgenfeiern/kath-20171029-morgenfeier-100.html

4 Kommentare zu „„Fremde sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten“

  1. Hallo Herr Holzmann,

    vielen lieben Dank für Ihren Kommentar. Derartiges bräuchten wir viel öfter,
    auch von katholischen und evangelischen Kanzeln herab. Es hat den Anschein,
    das das politische, neoliberale Motto „Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren“
    schon lange seinen Eingang in die Gesellschaft gefunden hat. Wenn Parteien mit einem
    „C“ im Namen schon nicht mal mehr den Hintergrund ihres „Cs“ wahrnehmen geschweige
    denn leben, brauchen wir uns weder über gewisse Wahlergebisse noch über fehlenden Nachwuchs auf Kanzeln mehr wundern…

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