„Wann sind wir endlich da, wie lange fahren wir noch?“ Oh je, dachte ich mir, als ich diesen Satz meiner Enkelin hörte, das kann ja heiter werden. Ich hatte sie gerade von ihren Eltern abgeholt, zu Beginn ihrer Ferien, von denen sie zwei Wochen bei uns verbringen sollte. Wie immer in Begleitung ihrer zwei besten Freunde, Willy und Lilly, den beiden Meerschweinchen. Auf die sich auch schon unsere Katze freute, weil sie dann endlich wieder ihren Beobachtungsposten auf dem schon bereitgestellten Käfig beziehen konnte.

Wir waren gerade einmal 10 Minuten mit dem Auto unterwegs, als ich diesen Satz hörte. Wann wir endlich da sein würden und wie lange es denn noch dauern würde. Wie auf Knopfdruck erschienen die Bilder in meinem Kopf, als ich vor ungefähr dreissig Jahren mit meinen Kindern unterwegs zu unserem ersten, großen Urlaub war. Von München auf die Insel Krk (die heisst tatsächlich so), im Mittelmeer vor der Küste Kroatiens. Die komplette Familie freute sich, endlich einmal richtig Ferien machen zu können. Mit Sonne, weissem Sand zum Burgen bauen, Wasser zum Schwimmen, Tauchen, oder einfach zum Plantschen. Und natürlich nicht mehr selber kochen müssen, sondern all die Leckereien der mediteranen Küche geniessen zu dürfen.

Eben nicht so, wie die letzten Jahre, als wir wegen der knappen Familienkasse immer gezwungen waren, Ende September im schönen Deutschland Urlaub zu machen. Im Schwarzen und Bayrischen Wald, oder im Spessart. In einfachen Bungalows, mit spartanischer Ausstattung, Doppelstockbetten, aber mit Einbauküche und sogar mit Dusche. Oft „garniert“ mit zwei Wochen Regen, Kälte und Nebel. Und zwei Wochen mit diesem Wetter irgendwo im Bayrischen Wald, mit drei quengelnden Kindern im Alter zwischen zwei und sechs Jahren und einer entsprechend „gut“ gelaunten Ehefrau, können lange werden. Seeeehr lange!

Aber dies konnte uns ja dieses mal mit Krk nicht passieren. Es war schliesslich Mitte Juli, die Kinder waren schon größer und statt sich in einem engen VW-Käfer zusammenzwängen zu müssen, hatte die komplette Familie in einem Opel Kadett Caravan (Code Name: „Der weisse Blitz“) bequem Platz. Na gut, weisser Blitz war vielleicht ein bisschen übertrieben, aber so an die 120km pro Stunde schaffte er auch, vor allem, wenn es bergab ging. Dass unser „Blitz“ keine Klimaanlage und kein „Navi“ hatte, störte uns nicht. Vielleicht auch deswegen, weil wir es einfach nicht kannten.

Zur damaligen Zeit war unser „Navi“ der gute, alte Strassenatlas. Egal ob von Shell, Aral, dem ADAC oder von Falk. Da prägte man sich einfach die wichtigsten Autobahnen, deren Nummern und Abfahrten und die Namen von wichtigen Städten, die man auf der Fahrt passieren sollte, ein, und fuhr los. Einfach so, mit viel Zuversicht und Gottvertrauen. Und wenn es dann doch schief ging (und es ging sehr oft schief!), dann war im Zweifel der Beifahrer schuld, bei uns meistens die Beifahrerin. Die mit der Karte auf dem Schoß neben dem Fahrer sass und seine schlechte Laune ertragen musste.

Auf unserer Karte war die Strecke München-Krk nicht einmal zwanzig Zentimeter lang, „nur“ 560 Kilometer, eigentlich ein Klacks, in 6 Stunden müsste das doch locker zu schaffen sein. Da bleibt ja sogar nach der Fahrt noch genügend Zeit für den ersten Sprung ins kühle Nass . Dachte ich beim Losfahren, an einem sonnigen Samstag (damals fuhren alle am Samstag los), früh um acht. Ich war bestens vorbereitet, hatte auch Österreichische Schillinge, Italienische Lira, jede Menge Dinar und auch Amerikanische Dollar besorgt. Man weiss ja nie, was passiert und für was es gut sein kann, dachte ich mir. Gutgelaunt und mit viel Vorfreude fuhren wir los, natürlich auch mit einem vollgetankten „Blitz“. Und tatsächlich, nach sechs Stunden waren wir schon da, allerdings erst am Brenner, an der Grenze zwischen Österreich und Italien. Mühsam im Stop and Go auf der zweispurigen Autobahn, von einem Stau in den anderen.

Direkt nach dem Brenner kam sie, die Frage aller Fragen: „Wann sind wir endlich da, wie lange dauert es noch?“ Im Wechsel gestellt von meiner großen Tochter und meinem Sohn. Die schon längst alle Hefte ausgelesen hatten, die für die ganze Strecke dienen sollten. Genauso, wie den kompletten Proviant (Würstchen, Kekse, Gummibärchen,…) aufgegessen und alle Capri-Sonne Tüten ausgetrunken. Jetzt war guter Rat teuer und die „Kinderberuhigungskiste“ wurde ausgepackt. Ich sehe was, was Du nicht siehst, Tiere mit dem Anfangsbuchstaben des kompletten ABC wurden gesucht, alle bekannten Kinderlieder wurden gesungen, Rätselaufgaben gestellt, Städte der entdeckten Autokennzeichen geraten.

Weitere endlos erscheinende vier Stunden später erreichten wir den Grenzübergang zwischen Italien und Jugoslawien. Kroatien war damals zwar schon ein Land, aber eben noch kein Staat. Wir zeigten unsere Pässe, aber irgendetwas schien mit diesen nicht zu stimmen, wir mussten aus der langen Kolonne auscheren und rechts ranfahren. Der Grenzbeamte machte mir mit Händen und Füßen klar, ihm in seine Baracke zu folgen. Wo mich dann sein Kollege barsch in einer Mischung aus Englisch, Deutsch und irgendetwas anderem danach fragte, wo denn der Ausweis meiner sieben Jahre alten Tochter sei, oder ob ich vielleicht ein Menschenschmuggler wäre.

Eine weitere Stunde später durften wir dann endlich weiterfahren. Nachdem ich meinen Ausweis als Sicherheit und meine 100 US-Dollar (Sie erinnern sich: „Man weiss ja nie!“) als „Bearbeitungsgebühr“ abgegeben hatte. Den Ausweis gegen Quittung, das Geld als Unterstützung für die dortige „Beamten-Pensions-Kasse“. Aber mir war alles egal, Hauptsache weg von hier und weiter zu Sonne, Strand und Meer. Da kamen wir dann auch an, nach insgesamt 12 Stunden Fahrt. Alle fix und fertig, in freudiger Erwartung auf unsere Zimmer in einem Luxus-Hotel, Kategorie „Drei Sterne“ nach Landesart. So die blumige Beschreibung aus dem Urlaubsprospekt. Komischerweise waren aber diese Zimmer angeblich nicht mehr verfügbar, auch unsere Reservierung schien verschwunden zu sein.

Aber „zufälligerweise“ war gerade noch ein einziges Zimmer verfügbar, sogar mit dazugehöriger Dusche und WC. Und sofort zu beziehen. Anstatt sich auf die Suche nach freien Zimmern in dem „Schwester-Hotel“ zu machen, welches auf der anderen Seite der Insel lag. Ein Blick in die Augen meiner Familie genügte und die Entscheidung war gefallen: Bleiben, Gepäck auf´s Zimmer, Duschen, Essen, Schlafen. Und sich auf den morgigen Tag freuen. Bei Sonne, Sommer, Strand und Meer.

Der nächste Tag kam, wir waren alle ausgeschlafen, dass es zum Frühstück nur Toast mit Marmelade und Nutella gab, war meinen Kindern gerade recht. Warum ihre Eltern mit der lauwarmen, braunen Flüssigkeit, die als Kaffee bezeichnet wurde, wenig anfangen konnten, interessierte sie nicht. Weil, es wartete ja der versprochene Strand und das herrliche Meer. Aber schon auf dem Weg zu diesem „Paradies“ dämmerte mir, warum diese Insel „Krk“ hiess. Und eben nicht „Brösel“ oder „Riesel“. Denn genau dieses Geräusch (Krk, krk, krk) machte es, als wir uns den Weg durch die Steine zum Wasser entlangkämpften. Und ich im Wechsel meine Kinder auf meinen Schultern trug, weil sie nicht mehr barfuss weiterlaufen wollten.

Dann endlich im Wasser, welche Erholung! Zwar nicht lange, da 18 Grad Wassertemperatur ja nicht gerade Kinderfreundlich waren. Aber egal, zumindest an der frischen Luft, nicht mehr im stickigen Auto, oder im winzigen Hotelzimmer. Wir sammelten Zentnerweise Steine, bauten damit unendlich viele Türme und hatten zwei wunderschöne Tage. Sogar unsere ansonsten wasserscheue „Älteste“ schien sich mit dem fremden Element anzufreunden. Allerdings nur kurz, genau bis zum dritten Tag. Als sie nämlich sehr zielsicher den vermutlich damals einzigen Seeigel an diesem Strand fand. Mit ihrem nackten Fuß, mit einem exakten Schritt auf dessen Panzer.

An mehr kann und will ich mich nicht mehr erinnern. Auch nicht daran, dass unser Sohn nach vier Tagen Brechdurchfall bekam, als Ergebnis seiner konsequent eingehaltenen „Diät“, bestehend aus Nutella, Pommes, Soft-Eis und Gummibärchen. Ich weiss nur noch, dass wir nach einer Woche vollkommen entnervt unsere Sachen packten und wieder nach Hause aufbrachen. Ich meinen Ausweis an der Grenze einsammelte und wir nach 8 Stunden Fahrt „schon“ in Kärnten waren. Wo wir dann kurzentschlossen in Villach in einem tatsächlichen Vier-Sterne-Hotel übernachteten und am nächsten Tag über Berg- und Landstrassen nach München weiterfuhren. Eine herrliche Fahrt, mit vielen Zwischenstopps an ruhigen und schattigen Plätzen, Kühe auf der Weider zum Anfassen und der Nachschub an Trinkwasser direkt aus einem Bach.

Das alles ging mir durch den Kopf, als ich meine Enkelin abholte, sie ihre Frage stellte und wir noch knapp eine Stunde zu fahren hatten. Aber Gott sei Dank funktionierte mein Gedächtnis noch einigermassen und so startete ich mein Fragespiel: Welche Tiere fangen mit einem A an? Und gerade, als es anfing schwierig zu werden (kurz vor dem X), bog ich schon in unsere Strasse ein. Wir waren endlich da und es hatte überhaupt nicht lange gedauert…