„Steh auf, bloss nicht liegenbleiben, STEH ENDLICH AUF!!!“ Und: „Nicht auswechseln, Jogi, um Himmels Willen, jetzt bloss NICHT AUSWECHSELN!!!“

So hat angeblich nach den Aussagen meiner Ehefrau ein ihr in diesem Moment wildfremder Mann, mit herausquellenden Augen, einer zuckenden Halsschlagader, hochrotem Kopf, mit geballten Fäusten und auf den Knien liegend, den Fernseher in ihrem Wohnzimmer vor genau drei Jahren angeschrien. Als das WM-Endspiel in Brasilien an Dramatik kaum noch zu überbieten war und der „Turm in der Schlacht“, Bastian Schweinsteiger, zum Wanken anfing.

Ich persönlich kann mich daran nicht mehr erinnern. Auch nicht daran, dass unsere Katze kreischend das Weite suchte und unsere Labrador-Hündin laut bellend anscheinend um mein – vielleicht auch ihr – Leben bangte. Was ich aber noch genau weiss, ist, wie es weiterging. Der bis zu diesem Moment von allen Menschen (auch von mir) gerufene „Schweini“ wankte zum Spielfeldrand und Jogi Löw wählte schon in Gedanken den entsprechenden Ersatzspieler aus, Kevin Großkreutz wäre erster Kandidat gewesen. Und in dem Moment wusste ich genau, dass jetzt dass das Schicksal unserer Mannschaft in den Händen von „Mulle“ (Mannschaftsarzt Dr. Müller Wohlfarth) lag und im Willen von Bastian Schweinsteiger. Wenn jetzt gewechselt werden würde, dann hätten die Argentinier gewonnen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt der Verlängerung noch 0:0 stand. Da war ich mir ganz sicher, auch weil ich selbst schon viele ähnliche Beispiele erlebt hatte.

Nicht nur deswegen flehte ich in Gedanken die „Zauberkräfte“ von Dr. Müller-Wohlfarth herbei, der schon in der WM-Vorbereitung seine heilenden Hände“ mehrmals einsetzen musste. Nicht nur bei den Verletzten Manuel Neuer, Miro Klose, Sami Khedira, oder auch beim offiziellen Kapitän unserer MANNSCHAFT, Philipp Lahm.

Sondern eben auch bei „Schweini“, der schon die ganze WM-Saison hatte leiden müssen, zwei Mal am Sprunggelenk operiert worden war und sich auch noch kurz vor der WM am Knie verletzte. Und jetzt draussen am Boden lag, mitten in der Coaching-Zone des Endspielgegner, den „Gauchos“ aus Argentininien. Die mit Messi zwar den weltbesten Einzelspieler in ihren Reihen hatten, aber anscheinend auch genau wussten, dass dies alleine nicht reichen würde. Sie hatten die deutschen Spiele vorher offensichtlich ganz genau analysiert und ihre Taktik auf das Ausschalten der Schaltzentrale unseres Spiels ausgerichtet. So stürzten sich die argentinischen Spieler bei jeder Gelegenheit auf den „Emotional Leader“ unserer MANNSCHAFT, beharkten ihn mit allen Mitteln. Der Münchner war trotzdem das Hirn und das Herz der deutschen Elf, er war überall zu finden und ging keinem Zweikampf aus dem Weg.

Wie andere große Spieler vor ihm wuchs er über sich hinaus und wurde zu dem Spieler, an den wir uns noch in Jahrzehnten erinnern werden. So wie sich die „Älteren“ unter uns noch an Fritz Walter erinnern, der 1958 im WM-Halbfinale humpelnd versuchte, seiner Mannschaft noch irgendwie zu helfen. Oder wie an Franz Beckenbauer, der sich im WM-Halbfinale 1970, beim „Jahrhundertspiel“ gegen die Italiener, mit seiner bandagierten Schulter über das Spielfeld schleppte.

Ich glaube nicht, dass sich Bastian Schweinsteiger gerade an diese Beispiele erinnerte. Vielleicht ahnte er einfach vor Spielbeginn, dass dies vermutlich seine letzte Chance auf den größten Titel einer Fußball-Karriere war. Nach zwei vergeblichen Anläufen, beginnend mit dem „Sommermärchen“ 2006, als er zusammen mit seinem Kumpel Lukas Podolski als „Schweini und Poldi“ unbekümmert über den Rasen tollte. Und jetzt auf dem Rasen im Maracana Stadion in Rio de Janeiro lag, mit einem blutenden  Cut. Erlitten nach einem Kopfballduell mit Sergio Augero, der dabei seine Faust zu Hilfe nahm. Aber „Mulle“ packte tatsächlich alles aus, was er hatte. Tackerte, nähte und klebte, alles natürlich ohne Betäubung bei seinem Patienten.

Nach schier endlosen Minuten stand Bastian „Kampf“ Schweinsteiger (diesen Ehrentitel hatte er von mir in dieser Sekunde verliehen bekommen) tatsächlich wieder auf und schleppte sich ins Spiel zurück. Die deutschen Zuschauer im Stadion jubelten frenetisch, mir standen die Tränen in den Augen. Weil ich in diesem Moment ahnte, dass jetzt alles gut werden und „wir“ endlich nach 24 Jahren des Wartens unseren „vierten Stern“ holen konnten.

Wie wir heute wisssen, wurde anschliessend tatsächlich alles gut. Mario Götze schoss das Siegestor, Bastian Kampf-Schweinsteiger warf sich in den letzten Zweikampf gegen Messi und der Schiedsrichter pfiff diese epochale „Schlacht“ nach über 120 Minuten endlich ab. Und schon wieder spielten meine Tierchen verrückt. Weil schon wieder eine anscheinend vollkommen irre gewordene Person in ihrem Wohnzimmer wie verrückt hin und her sprang. Und immer wieder schrie:  „Die Nummer 1 der Welt sind wir, die Nummer 1 der Welt sind wir! Die Nummer 1 der Welt sind wiiir, die Nummer 1 der Welt sind wir!

Das war die Nacht, als „wir“ Weltmeister wurden. Als aus „Schweini“ endgültig ein Mann und ein echtes Vorbild wurde. Und ein bisschen bilde ich mir immer noch ein, dass ich dabei nicht nur zu Hause auf der Couch und vor dem Fernseher dabei war. Sondern mittendrin und direkt neben Bastian Schweinsteiger…. :-))