Jahrelang habe ich mit mehr oder weniger Erfolg versucht, meine Spieler zu mehr Einsatz zu motivieren und anzuspornen. „Du musst mehr tun, mehr und länger trainieren, dein Verhalten ändern, mir besser zuhören, mehr Einsatz zeigen, dich mehr anstrengen und das Ganze ernster nehmen“. Fast so wie ein Lehrer in der Schule, der einen dann bei schlechter Leistung mit schlechten Noten bestraft. Auch nicht „aufsteigen“, sondern sitzen lässt.

Bis bei mir irgendwann der Groschen gefallen war. Auch, weil ich darüber nachgedacht hatte, dass gerade mir dieses „Du musst“ immer auf den Geist gegangen ist. Weil ich einfach nicht „müssen“ wollte, sondern die Sachen gemacht habe, bei denen ich Spass hatte und bei denen ich meine Stärken und Talente einbringen konnte. Und wenn ich etwas erreichen und es mir und anderen beweisen wollte (auf und neben dem Platz), brauchte ich niemanden, der mit der „Peitsche“ am Spielfeldrand stand. So habe ich meine Taktik geändert und vor jeder Saison einen einfachen Fragebogen an jeden Spieler verteilt.

Auf diesem „Zettel“ standen dann ganz einfache Fragen, zum Beispiel:

  • Namen der bisherigen Vereine
  • Bisherige Spielpositionen und Lieblingsposition
  • Was gefällt Dir an unserem Verein gut und was nicht?
  • Wie warst Du mit der letzten Saison zufrieden?
  • Was können wir im besser machen?(Training, Spiel,…)
  • Welche Schwächen siehst Du in der Mannschaft?
  • Welches Spielsystem passt aus Deiner Sicht am besten zur Mannschaft?
  • Warum spielst Du eigentlich so gerne Fußball und warum gerade in dieser Mannschaft?
  • Was sind Deine Stärken und Schwächen?
  • Wo möchtest Du Dich verbessern?
  • Welches Ziel hast Du Dir für die neue Saison vorgenommen (Klassenerhalt, vorderes Mittelfeld, Aufstieg, Ergebnis und Tabellenplatz egal, Hauptsache Spass haben)?

Und ganz am Schluss stand die wichtigste Frage, auch mit Antworten zum Ankreuzen:

Was willst Du tun, um Deine Ziele mit der Mannschaft zu erreichen? Bitte kreuze an:

  • Regelmässig zum Training kommen
  • Mehr und härter trainieren
  • Mehr auf meine Lebensweise achten (weniger Alkohol, mehr Schlaf, gesünder essen,…)
  • Weniger meckern (gegenüber Mitspielern, Schiedsrichtern,…)
  • Mich an meine Aufgaben halten
  • Mehr Teamgeist zeigen
  • Ein Vorbild für die jungen Spieler sein
  • So spielen, dass ich auf meine Leistung stolz sein kann.
  • Kein Spiel verloren geben, bis der Schiedsrichter abgepfiffen hat
  • Nach Niederlagen nicht die Schuld bei anderen suchen, sondern zuerst bei mir anfangen.
  • Einfach so weitermachen, wie bisher

Den Fragebogen habe ich nach dem ersten Training ausgeteilt, eingesammelt und ausgewertet. Mit oft ganz erstaunlichen Ergebnissen. So hatte ich manche Spieler komplett verkehrt eingeschätzt (Lieblingsposition, Schwächen/Stärken, Ehrgeiz) und viele wertvolle Tipps bezüglich Training, Aufstellung, Mannschaftsführung und Vereinsarbeit erhalten. Konnte der Mannschaft die Zusammenfassung der Auswertungen präsentieren und das Training sowohl individuell, als auch in Summe nach dem jeweiligen Ziel gestalten.

Ich musste nicht mehr den großen „Zampano“, Motivator und Antreiber („Du musst“) spielen, die Spieler motivierten sich von selber und gegenseitig. Wenn es nicht lief  und wenn es mal einen Durchhänger gab, holte ich einfach den entsprechenden „Zettel“ und redete mit dem betroffenen Spieler. Ob er sich noch an seine Ziele erinnerte und was er zu deren Erreichung tun wollte. Manchmal hatten sich tatsächlich nicht vorhersehbare Umstände (Aufnahme eines Berufes, geänderte Arbeitszeiten, private Probleme,…) ergeben, die nicht mehr zu den Zielen und dem versprochenen Einsatz passten. Manchmal war es aber auch einfach so, dass derjenige zwar viel erreichen wollte und viel versprach. Aber von dem Versprochenen nichts einhielt, einfach so weitermachte wie immer und sich weiter auf seine Mitspieler verlies. Aber diese Mitspieler, die mit Ehrgeiz auf das gemeinsame Ziel hinarbeiteten,  schnappten sich sehr bald ihren Kumpel und lasen ihm die Leviten.

Bei der Aufstellung, der Besetzung der Spielpositionen, war alles auch viel einfacher. Jeder Spieler wollte sich auf seiner Lieblingsposition beweisen und zeigen, dass er dort der beste sei. Gab es mal zwei oder drei Spieler, die sich um die gleiche Position bewarben bekam jeder in der Vorbereitung seine faire Chance. Und wer dabei nicht überzeugen konnte, der hatte ja noch seine Position Nummer zwei oder drei. Die auf dem „Zettel“ stand, den ich sorgsam verwahrte. Auch bei Ausfall (Verletzung, Abwesenheit, Formschwäche,…) der Stammspieler immer wieder hervorholte und als Orientierung benutzte.

Die nächsten Jahre war es einfacher, eigentlich musste ich das Team nicht mehr trainieren, sondern nur noch coachen. Und wir feierten sogar Meisterschaften und Aufstiege. Zwar mit den gleichen Spielern, aber mit einer anderen MANNSCHAFT und einer ganz anderen Einstellung.  Aber es gab auch Zeiten, bei denen ich vor der Saison wieder Zettel einsammelte, bei denen die Mehrheit der Spieler ankreuzte: „Klassenerhalt, einfach so weitermachen, wie bisher. Hauptsache Spass haben“. Auch das fand ich vollkommen in Ordnung und respektierte die Mehrheitsmeinung. Empfahl dann allerdings den Spielern und dem Verein, dass die Mannschaft dazu keinen Trainer oder Coach mehr bräuchte. Sondern eher einen Betreuer, der beim Training Bälle ausgibt und beim Spiel den Spielberichtsbogen ausfüllt.

Aber eines habe ich für mein Leben (auf und neben dem Platz) auf jeden Fall gelernt, zwei voneinander nicht zu trennende Fragen und entsprechende Antworten sind mir im Gedächtnis hängengeblieben: Was will ich erreichen und was will ich dafür tun?

Was willst du dafür tun-V3