Was ist der Sinn des Lebens? Das frage auch ich mich öfters, wie an diesem wunderschönen Frühlingsnachmittag, der sich langsam dem Ende zuneigt. Ich sitze wie so oft auf meiner Lieblingsbank im „Neuen Garten“ in Potsdam. Ein paar Hundert Meter hinter mir den Jungfernsee und direkt vor meinen Füßen den Heiligen See. Auf meinen Füßen liegt mein treues „Mädchen“, meine Labrador-Hündin, die mich bei meinen Abendspaziergängen immer begleitet. Die warme Luft ist noch voll vom Summen fleißiger Bienen, die durch Tausende von Frühlingsblühern schon einen reich gedeckten Tisch vorfinden. Sträucher und Bäume scheinen vor Kraft fast zu platzen, jedes Blatt will anscheinend das erste sein, welches die Sonne begrüßt. Die jetzt langsam untergeht und mit ihren Strahlen den ganzen Himmel und den ganzen See vor mir in purpurnes Licht taucht. In solchen Momenten scheint die Welt stillzustehen und mir fällt automatisch Louis, „Satchmo“, Armstrong und seine Beschreibung unserer wunderbaren Welt ein.
Dankbarkeit, Wärme und Liebe
Unwillkürlich wandern meine Blicke weiter in Richtung des grandiosen Abendhimmels, wie so oft kommen mir dabei meine Eltern in den Sinn. Die vor bald zwanzig Jahren viel zu früh diese wunderschöne Welt verlassen mussten. Zuerst meine Mutter, vier Wochen später folgte ihr mein Vater. Die beide ihr ganzes Leben hart arbeiteten, auch um meinen vier Geschwistern und mir ein besseres Leben zu ermöglichen, als sie es hatten. Obwohl es uns fünf Kindern nie an etwas gefehlt hat. Auch wenn manchmal die Bekleidung der älteren Geschwister aufgetragen werden mussten, oder wir Reisen, Kino- und Restaurantbesuch nur vom Hörensagen kannten. Und an jedem Ostermorgen lag ein Hase aus Schokolade in unserem selbst gebastelten Osternest, eingerahmt von selbst gefärbten und mit viel Liebe verzierten, hartgekochten Eiern. An Liebe und Wärme hat es uns sowieso nicht gefehlt und um das Wissen, dass unsere Eltern immer für uns da sind, wenn wir sie mal bräuchten.
Was ist der Sinn des Lebens, warum nur so viel Leid?
Was würde ich dafür geben, so hänge ich meine Gedanken weiter nach, wenn meine Eltern jetzt noch neben mir sitzen könnten? War ihr viel zu früher Tod tatsächlich vorbestimmt, welchen Sinn sollte dieser eigentlich ergeben? Was ist eigentlich der generelle Sinn des Lebens, was ist in diesem Leben wirklich wichtig und was erwartet uns eigentlich am Schluss? Geht man wirklich ganz, oder geht man nur voraus? Ist der Tod vielleicht gar kein Ende, sondern nur eine Durchgangsstation? Und wenn ja, wie geht es dann weiter? Trifft man Menschen, die man geliebt hat, die einen verlassen mussten und die man vermisst, auf der anderen Seite dieses „Tores“ wieder? Und wenn ja, in welchem Zustand sind diese?
Mein Grübeln geht weiter und ich denke an Ostern und an die Botschaft des Lebens, der Auferstehung und der Liebe. Aber auch an die Ereignisse von Karfreitag. An Maria, die Mutter von Jesus Christus und an meine große Schwester. Die beide den größten Schmerz, den eine Mutter treffen kann, erleiden mussten. Nämlich ihr eigenes Kind zu Grabe tragen. Maria vor einer langen Zeit und weit weg, meine große Schwester nicht einmal vor einem Jahr. Als ihr Sohn sich in der Blüte seines Lebens an einem herrlichen Sommertag von seiner Familie fröhlich verabschiedete. Auf sein Motorrad stieg und nur eine kurze Spritztour machen wollte. Und dieser Ausflug dann ein tragisches, tödliches Ende nahm.
Lebt Euer Leben!
Wie können jetzt seine Frau und seine zwei kleinen Buben eigentlich weiter leben, was hält diese und meine große Schwester überhaupt am Leben? War dies auch Gottes Wille und wenn ja, was verbirgt sich dann auch hinter diesem Willen? Einen Hinweis zu all diesen Fragen, zum „Weiterleben“ und dem Sinn des Lebens gab der Priester – der den Verstorbenen und auch seine Kinder schon bei Taufe in den Händen hielt – bei der Beerdigung meines Neffen im ganz großen Kreis (unter den Hunderten von Trauergästen waren auch Dutzende Freunde des Verstorbenen aus dem örtlichen Motorradclub):
„Trauert um ihn, er ist es wert. Ein ganz besonderer Mensch hat uns verlassen, aber er ist auch weiterhin unter uns“. So der Priester mit Blickrichtung zu den zwei kleinen Buben, die noch gar nicht verstanden, was mit ihrem Vater eigentlich geschehen war und was um sie herum vor sich ging. Aber, so fuhr der Priester fort: „Trauert nicht zu lange und hadert mit seinem oder Eurem Schicksal nicht zu viel. Das Leben ist nicht dazu da, nur zu trauern, mit sich und anderen zu hadern und zu lange und zu weit zurückzublicken. Das Leben ist nämlich dazu da, gelebt zu werden. Jede Minute, jede Stunde, jeder Tag, jedes Jahr. Tut mit Leidenschaft das, was Ihr liebt, entwickelt Eure Talente, findet heraus, was Euch antreibt und genießt Euer Leben bis zum letzten Atemzug. Wann immer der auch sein wird. Kümmert Euch um die Menschen, die Eure Zuneigung und Fürsorge brauchen. Denn das, was ihr gebt, werdet Ihr auch irgendwann zurückbekommen“.
„Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, welche wir hinterlassen, wenn wir gehen.“
In dieser Art und Weise fand der Priester (aus meiner Sicht ein echter Seelsorger) die richtigen Worte für die Hinterbliebenen. Er musste nicht Stundenlang erklären, was für ein großartiger Mensch der Verstorbene war, das wussten die Anwesenden von ganz alleine. Und dass das Leben tatsächlich immer weiter geht (gehen muss), war schon ein paar Monate später zu sehen. Als nämlich der jüngste Sohn meiner Schwester zum zweiten Mal Vater wurde, dieses Mal von einem bezaubernden Mädchen. Und meine Schwester ihre erste Enkeltochter (ihre bisherigen fünf Enkelkinder waren Jungs) in ihren Armen halten konnte.
Der Sinn des Lebens kann manchmal sehr einfach sein!
All diese Erlebnisse, Ereignisse, Erinnerungen und Worte schwirren in meinem Kopf, wie vor ein paar Minuten noch die fleißigen Bienen auf der Wiese. Vielleicht, so denke ich mir, ist es tatsächlich so, wie es Albert Schweitzer beschrieben hat. „Dass das einzig Wichtige im Leben die Spuren der Liebe sind, welche wir hinterlassen, wenn wir gehen.“ Zwischenzeitlich war es merklich kühler geworden, auch die Sonne war hinter dem Horizont verschwunden. Es ist halt noch Anfang April und nicht mitten im Sommer. Da steht mein „Bienchen“* plötzlich ruckartig auf, unterbricht meine Gedanken und legt ihren Kopf auf meinen Oberschenkel. Dieses Zeichen heißt eindeutig: „ Es ist schon spät, ich habe Hunger –obwohl Labradore eigentlich immer Hunger haben – lass uns nach Hause gehen.“ Stimmt, so denke ich mir, es wird wirklich Zeit, nach Hause zu gehen. Schließlich wartet ja auch meine Enkelin auf uns, die ihre Osterferien bei uns verbringen wird. Und natürlich auch meine Ehefrau mit dem Lieblingsessen unserer Enkeltochter, das zufälligerweise auch meines ist: Bratkartoffeln mit Speck und Spiegelei! Die Welt und das Leben können wirklich schön und der Sinn des Lebens oft ganz einfach sein! So denke ich mir, gehe los und habe den Duft der Bratkartoffeln schon in der Nase…
*heisst nach ihrem Stammbaum in Wirklichkeit eigentlich „Martha von Wechsbrunn“, aber wer kann denn ein blondes Labrador-Mädchen mit braunen Augen und langen, schwarzen Wimpern Martha nennen?
Lieber Herr Holzmann, ein guter Artikel, der zugleich noch die (wahre) Osterbotschaft mit einschließt.
…Und die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens kann schließlich nur jeder für sich selbst beantworten, „die“ Antwort darauf gibt es nicht.
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Vielen Dank für Ihr Kompliment, über das ich mich sehr gefreut habe! Und Sie haben natürlich recht, jede(r) muss für sich seinen Weg im Leben finden…
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Lieber Herr Holzmann, ihre Worte haben mich sehr berührt. Danke für den schönen Moment und das Lächeln das sie mir geschenkt haben
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Sehr gerne! 🙂
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Danke für diese berührenden Worte, die ich selbst für die Trauerfeier meiner geliebten, aber schwierigen Patentante am Dienstag nach Ostern in Minsk/Belarus gewählt habe.
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Herzliches Beileid zu dem Tod Ihrer geliebten Patentante! Und es ehrt mich sehr, dass Ihnen die Worte meines Beitrages gefallen haben….
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Nicht alles was geschieht, ist Gottes Wille. Es tut mir leid, dass so was passiert, aber wenn jemand zu früh stirbt, ist es einfach zu früh.
Nur einmal was positives über die Welt zu lesen, finde ich toll. Überall wird nur gemeckert und dass man mal was anderes liest, ist schon schön! Angenehme Zeit Ihnen
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Lieber Herr Holzmann,
wunderbare Gedanken zu Ostern. Mir geht es wie Ihnen- auch ich werde beim Spaziergang mit dem Hund geerdet. Vieles relativiert sich dabei, wenn ich mich als Teil des großen Ganzen betrachte, sehe wie die Natur erwacht, die Vögel beim Nestbau beobachte…..
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Herzlichen Dank für Ihre positive Rückmeldung und für das Teilen Ihrer Beobachtungen! 🙂
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Lieber Herr Holzmann,
auf der Suche nach einem Beitrag der mich wieder ein bisschen erdet, weil Lesen meine Leidenschaft ist und ich immer wieder auf der Suche nach Blogs bin die sich auch mit den schönen Seiten des Lebens beschäftigen, habe ich diesen Beitrag gefunden.
Ihre Worte haben mich wirklich zu Tränen gerührt, teils aus Freude teils aus Mitgefühl für Ihre Schwestern. Nur eine Mutter vermag nachempfinden können was es bedeutet das eigene Kind zu Grabe tragen zu müssen.
Habe ich vor kurzer Zeit meinen Opa verloren und versuche derzeit meine Gedanken wieder etwas in die richtige Bahn zu bringen. Wie der Priester aus Ihrer Kirche es so schön gesagt hat „Trauert um Ihn er ist wert.(Aber) Trauert nicht zu lange“, immerhin dreht die Welt sich weiter und ich drehe mich mit.
Derzeit schreibe ich zusammen mit meiner Oma die Danksagungskarten was uns beiden etwas hilft die Gedanken zu sortieren, hier und da ein Tränchen zu verdrücken und im großen und ganzen den Opa mit all seinen liebenswürdigen Eigenschaften und auch all seinen Macken zu gedenken.
Ich werde meiner Oma deinen Text vorlesen und auch sie wird sicher dadurch etwas gelassener werden und sich geerdeter fühlen.
Sag auch liebe Grüße an deine Labrador Dame
Marlene
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Liebe Marlene,
es freut mich, dass ich Ihnen mit meinen Gedanken ein bisschen Trost spenden konnte. Ja, das Leben dreht sich weiter, auch wenn wir manchmal nicht wissen, warum und wohin. Und auch, wenn es immer wieder schmerzvoll ist, an einen lieben Menschen zu denken, der uns verlassen hat, hilft schon dieses „An-denken“. Vielleicht auch mit den Worten von Albert Schweitzer, die ich in meinen Gedanken verwendet habe: „Dass das einzig Wichtige im Leben die Spuren der Liebe sind, welche wir hinterlassen, wenn wir gehen.“
Viele Grüße
Ernst
P.S.: Die lieben Grüße an unser „Mädchen“ (jetzt auch schon eine betagte Hunde-Oma), mit der ich gerade von unserem Mittags-Spaziergang um den „Heiligen See“ zurückgekommen bin, richte ich sehr gerne aus… 🙂
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Mit Ihren schönen Worten erinnere ich mich, dass es Zeit wird Heim zu den Lieben zu fahren – das Büro mit seinen Herausforderungen und Projekten ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch morgen noch da.
Vielen vielen Dank für die schönen Worte.
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Sehr gute Entscheidung, Zeit mit Ihren Liebsten zu verbringen! Auch, weil wir nicht mehr Zeit in unser Leben stecken können, aber mehr Leben in unsere Zeit… 🙂 https://ernstholzmann.blog/2016/12/05/zeit-unser-kostbarster-schatz/
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